Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
hinein. Sie winselten, zerrten an den Wildlederschnüren und verdrehten die Augen, bis das Weiße zu sehen war.
    »Die lebenden Toten verfolgen sie ohne Probleme«, sagte Cordie und band sie an einem Pfosten vor der Tür fest. »Das da drinnen mögen sie nicht. Können den Geruch nicht ausstehen.«
    Dale mochte den Geruch auch nicht. Der Hauptbereich der Lagerhalle war fünfundzwanzig oder dreißig Meter lang und drei Stockwerke hoch, die Decke von einem Gitter von Kreuzstreben aus Holz und Eisen überzogen. An einem dieser Balken hingen die Kadaver.
    Cordie ließ den Strahl der Taschenlampe über die zerfetzten Wesen gleiten, während die Jungs die Hemden über Nase und Mund zogen, langsam weitergingen und wegen des Gestanks blinzelten. Das Summen von Fliegen ertönte durch die Luft.
    Als Dale die Kadaver zum erstenmal sah - zerfetztes Fleisch und freiliegende Knochen -, hielt er sie für Menschen. Dann erkannte er ein Schaf... ein Kalb, das an den Hinterbeinen aufgehängt war und mit dem Kopf nach unten baumelte, der Hals in unmöglichem Winkel abgebogen und zu einem obszönen Lächeln aufgeschlitzt ... dann noch ein Schaf... einen großen Hund... ein größeres Kalb ... mindestens zwanzig Kadaver hingen über einem langen Trog, der aus halbierten Zweihundert-Liter-Ölfässern gemacht war.
    Cordie ging dicht zu dem Kalb und legte die Hand auf den fast völlig durchgeschnittenen Hals. »Seht ihr, was sie gemacht haben? Ich glaube, sie haben sie hier aufgehängt, bevor sie ihnen die Kehlen durchgeschnitten haben.« Sie deutete. »Das Blut läuft hier bergab ... durch die Leitung ... durch den Abfluß da drüben raus, so daß sie es aufladen können, ohne das Zeug eimerweise nach draußen zu schleppen.«
    »Aufladen?« sagte Dale, aber dann wurde ihm klar, was sie meinte. Jemand hatte den Trog benützt, um das Blut nach draußen zur Laderampe zu befördern... Wozu? Wohin brachten sie es?
    Plötzlich erfüllten der Gestank von verwesendem Fleisch, der überwältigende Geruch von Blut und das hohe Summen einer Million Fliegen Dale mit Übelkeit. Er taumelte zum Fenster, schob den alten Riegel auf, hob eine bewegliche Scheibe und sog frische Luft ein. Die Bäume draußen sahen dunkel aus. Sternenlicht wurde von rostigen Schienen reflektiert.
    »Seit wann weißt du von dieser Stelle?« sagte Mike zu Cordie. Seine Stimme hatte einen seltsam tonlosen Klang.
    Das Mädchen zuckte die Achseln und ließ den Lichtstrahl an den Balken entlangstreichen. »Seit ein paar Tagen. Mein Hund hat neulich nachts eins der Biester erwischt. Sie sind dem Blut hierher gefolgt.«
    Harlen versuchte, seine Schlinge als Maske zu benützen. Sein Gesicht über dem schwarzen Stoff war totenblaß. »Du weißt davon und hast es niemandem gesagt?«
    Cordie richtete die Taschenlampe auf Harlen. »Wem hätte ich es denn sagen sollen?« antwortete sie gleichgültig. »Vielleicht unserem alten Schulrektor? Oder dem Schwachkopf Barney? Vielleicht unserem Friedensrichter, hm?«
    Harlen wandte das Gesicht vom Licht ab. »Das wäre besser gewesen, als es für dich zu behalten, Herrgott.«
    Cordie schritt die Reihe der Kadaver entlang und leuchtete mit der grellen Taschenlampe zuerst auf Rippen und Fleisch, dann in den rostigen, blutigen Trog darunter. Im Licht der Taschenlampe sah das Blut schwarz und zäh wie Melasse aus. Der Trog war so voller Fliegen, daß es aussah, als würde das Metall kochen. »Ich habe es doch euch gesagt, oder nicht?« sagte Cordie. »Was ich hier gefunden habe, hat mich überzeugt, daß ich es jemandem sagen mußte.«
    Sie war zum Ende der Reihe von Kadavern im hinteren Teil des Lagerhauses gekommen. Sie richtete den Lichtstrahl nach oben.
    »Heilige Scheiße«, sagte Harlen und sprang zurück.
    Mike hatte die Pistole an der Seite getragen, seit sie hereingekommen waren. Jetzt hob er sie hoch und kam nach vorne.
    Der Mann, der dort hing, war wie die Tiere hochgezogen worden - die Beine waren mit Draht zusammengebunden und an einem alten Eisenhaken befestigt - auf den ersten Blick glich sein Körper dem der Schafe und Kälber: nackt, die Rippen hoben sich unter der blassen Haut ab, die Kehle so tief aufgeschlitzt, daß der Kopf beinahe abgetrennt war. Dale fand, daß der Hals wie das Maul eines großen weißen Hais aussah - mit unregelmäßigen Fetzen Fleisch und Knorpel anstelle von Zähnen. Die Unterseite des Kinns des Mannes war so blutüberströmt, daß es aussah, als hätte jemand eimerweise rote Farbe über ihn

Weitere Kostenlose Bücher