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Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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pünktlich zur Stelle waren. Mike hatte wie alle anderen seine Aufgaben erfüllt und auf die lateinischen Antworten gemurmelt, ohne die Übersetzung auf den laminierten Karten auf der Stufe zu lesen, wo er kniete, ohne über das Wunder nachzudenken, das geschah, wenn er die kleinen Flaschen Wein und Wasser zu dem Priester trug, der die Kommunion vorbereitete. Es war eine Pflicht gewesen, die er erfüllte, weil er katholisch war und gute katholische Jungs es eben machten ... auch wenn alle anderen katholischen Jungs in Elm Haven Ausreden zu haben schienen, es nicht zu tun.
    Doch dann war Pater Harrison vor etwas mehr als einem Jahr in den Ruhestand gegangen - oder gegangen .morden; der alte Priester hatte Spuren von Alter und Alkoholismus gezeigt, seine Predigten waren zunehmend bizarrer geworden -, und die Ankunft von Pater Cavanaugh hatte für Mike alles verändert.
    Pater C. war in vieler Hinsicht das genaue Gegenteil von Pater H., obwohl beide Männer Priester waren. Pater Harrison war alt und irisch gewesen, grauhaarig und mit rosigen Wangen, gemächlich in Denken, Sprechen und Gebahren. Die Messe schien ein Ritual zu sein, das Pater H. so oft vor so wenig Besuchern durchgeführt hatte, daß es kaum mehr Bedeutung für ihn zu haben schien als das Rasieren. Pater Harrison hatte ausschließlich für die Hausbesuche und Essen gelebt, zu denen er eingeladen wurde - sogar ein Besuch bei Kranken oder Sterbenden war für ihn eine Ausrede gewesen, sich zu setzen, zu reden, Kaffee zu trinken, Geschichten zum besten zu geben und sich an Einwohner zu erinnern, die schon lange tot waren. Mike hatte Pater H. bei einigen Besuchen begleitet - gelegentlich verlangten die Kranken das Abendmahl, und Pater H. dachte, einen Meßknaben dabei zu haben, würde das schlichte Ritual etwas feierlicher gestalten. Bei diesen Besuchen war Mike stets zum Erbrechen langweilig gewesen.
    Pater Cavanaugh dagegen war jung, dunkelhaarig - Mike wußte, daß sich der Priester zweimal täglich rasierte und trotzdem einen FünfUhr-Schatten auf der dunklen Haut hatte - und ungeheuer vital. Pater C. war die Messe wichtig - er bezeichnete sie als Christi Einladung an uns, mit Ihm das letzte Abendmahl einzunehmen -, und er sorgte dafür, daß auch die Meßknaben sie wichtig nahmen. Zumindest diejenigen, die weiter kamen.
    Mike gehörte zu den wenigen, die weiterhin auf regelmäßiger Basis Dienst versahen. Pater C. verlangte viel: Der Meßknabe mußte verstehen, was er sagte, nicht nur lateinische Sätze murmeln. Mike hatte sechs Monate lang eine spezielle Katechismusklasse mittwochs abends besucht, die Pater C. abhielt, damit er die lateinischen Ausdrücke und den historischen Hintergrund der Messe selbst lernte. Dann mußten die Meßknaben teilnehmen - wirklich darauf achten, was vor sich ging. Pater C. besaß ein aufbrausendes Temperament und stürzte sich auf jeden Jungen, der nachlässig war oder seinen Pflichten nicht nachkam.
    Pater Harrison hatte gern gegessen und noch lieber getrunken - alle in der Gemeinde, nein, im ganzen County, hatten vom Alkoholproblem des alten Priesters gewußt -, aber Pater C. trank nie, außer beim Abendmahl, und schien Essen als notwendiges Übel anzusehen. Etwas von derselben Einstellung schien er auch bezüglich der Besuche zu haben; Pater Harrison hatte über alles und jeden gesprochen -manchmal hatte er einen ganzen Nachmittag damit verbracht, mit pensionierten Farmern im Parkside über Getreide zu diskutieren; aber Pater C. wollte über Gott sprechen. Selbst seine Besuche bei Kranken und Sterbenden waren wie jesuitische Kommandoeinsätze, ein geistliches Quiz in letzter Minute für alle, die kurz vor der letzten Prüfung standen.
    Pater Cavanaughs einziges Laster, soweit Mike das beurteilen konnte, war das Rauchen - der junge Priester war Kettenraucher, und wenn er nicht rauchte, schien er sich zu wünschen, er könnte es -, aber das machte Mike nichts aus. Die Eltern all seiner Freunde rauchten - außer denen von Kevin Grumbacher, und die waren Deutsche und unheimlich -, und Pater Cavanaughs Rauchen schien ihn nur noch vitaler zu machen.
    An seinem ersten Sonntag der Sommerferien half Mike bei beiden Messen, genoß das kühle Innere des Sanktuariums und das hypnotische Murmeln der Gemeinde, die ihre Antworten nuschelte. Mike sprach seine sorgfältig aus, präzise, weder zu laut noch zu leise, und betonte das Lateinische so, wie Pater Cavanaugh es ihm während der langen Abendlektionen in der Pfarrei beigebracht

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