Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sommer der Nacht

Titel: Sommer der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
Vom Netzwerk:
hatte.
    »Agnus Dei, qui tollis peccata mundi ... miserere nobis ... Kyrie eleison, Kyrie eleison ... «
    Mike liebte es. Während ein Teil von ihm voll und ganz damit beschäftigt war, das Wunder der Eucharistie vorzubereiten, ließ er einem anderen Teil von sich freien Lauf ... als könnte er wirklich seinen Körper verlasen ... und war mit Memo in ihrem dunklen Zimmer, aber jetzt konnte Memo wieder sprechen, und sie führten Unterhaltungen wie damals, als er ein Kind war, und sie erzählte ihm Geschichten aus der alten Heimat; oder er schwebte über den Feldern und Wäldern jenseits des Frriedhofs Calvary und der Höhle, flog frei wie ein Rabe mit dem Verstand eines Menschen, sah auf Bäume und Flüsse hinab, auf die Hügel mit ihren Tagebauminen, die die Kinder Billy Goat Mountains nannten, trieb über den erblichenen Wagenspuren der Gypsy Lane, die alte Straße, die sich durch Wälder und Wiesen wand ...
    Dann war die Kommunion vorbei - Mike wartete immer bis zur Hohen Messe am Sonntag, um selbst die Kommunion zu empfangen -, die letzten Gebete gesprochen, Antworten gegeben, die Eucharistie war ins Tabernakel über dem Altar weggeschlossen, Pater Cavanaughs segnete die Gemeinde und führte die Prozession aus dem Sanktuarium, und dann war Mike in der kleinen Kammer, wo sie sich umzogen, legte Soutane und Meßgewand beiseite, damit die Haushälterin von Pater C. sie bügeln konnte, und stellte vorsichtig die polierten Halbschuhe in den Zedernspind.
    Pater Cavanaugh kam herein. Er hatte ebenfalls die schwarze Soutane abgelegt und trug weite Hosen, ein blaues Baumwollhemd und einen Cordmantel. Es schockierte Mike immer, den Priester ohne Uniform zu sehen.
    »Gute Arbeit, Michael, wie immer.« Obwohl er alles andere formlos erledigte, nannte der Priester ihn nie Mike.
    »Danke, Pater.« Mike überlegte, was er noch sagen könnte - um den Augenblick mit dem einzigen Mann, den er bewunderte, in die Länge zu ziehen. »Waren nicht eben viele bei der zweiten Messe.«
    Pater C. hatte sich eine Zigarette angezündet, das rauchige Aroma drang durch das kleine Zimmer. Der Priester stand am schmalen Fenster und sah auf den jetzt verlassenen Parkplatz hinaus. »Hmmmm? Nein, wie meistens.« Er drehte sich um und sah Mike an. »War dein Liebling heute wieder da?«
    »Hm?« Mike kannte wenig katholische Jungs in seinem Alter.
    »Du weißt schon ... Michelle - wie heißt sie doch gleich? - Staffney.«
    Mike errötete bis zum Haaransatz. Er hatte Michelle nie gegenüber Pater Cavanaugh erwähnt - eigentlich nie gegenüber irgend jemand ... aber er vergewisserte sich immer, ob sie sich in der Gemeinde befand. Das kam selten vor - sie und ihre Eltern fuhren normalerweise zur Kathedrale St. Mary's in Peoria -, aber bei den seltenen Anlässen, wenn die Rothaarige einmal da war, fiel es Mike sehr schwer, sich zu konzentrieren.
    »Ich bin nicht einmal in derselben Klasse wie Michelle Staffney«, schnaubte Mike und versuchte, beiläufig zu klingen. Er dachte: Wenn Donnie Elson, diese Ratte, Pater C. von ihr erzählt hat, schlag' ich ihm die Fresse zu Brei.
    Pater Cavanaugh lächelte und nickte. Es war ein sanftes Lächeln, ohne Spott, aber Mike errötete wieder. Er senkte den Kopf, als müßte er sich mit aller Macht darauf konzentrieren, die Turnschuhe zu binden.
    »Mein Fehler«, sagte Pater C. Er drückte die Zigarette im Aschenbecher auf dem Schreibtisch aus und tastete in der Tasche nach einer neuen. »Haben du und deine Freunde Pläne für heute nachmittag?«
    Mike zuckte die Achseln. Er hatte vorgehabt, mit Dale und den anderen herumzuhängen und heute damit anzufangen, Van Syke zu beobachten. Er errötete wieder, als ihm bewußt wurde, wie albern ihr kleines Spionagespiel war. »Nn-nnn«, sagte er. »Nichts geplant.«
    »Ich habe mir gedacht, ich sehe gegen fünf bei Mrs. Clancy vorbei«, sagte Pater C. »Ich kann mich erinnern, daß ihr Mann Fische im Teich auf ihrer Farm ausgesetzt hat, bevor er letztes Frühjahr gestorben ist. Ich glaube, es würde ihr nichts ausmachen, wenn wir unsere Angeln holen und nachsehen, was aus den Fischen geworden ist. Möchtest du mitkommen?«
    Mike nickte und spürte, wie Freude in ihm aufstieg wie das Bild vom Heiligen Geist als Taube an der Westwand des Kirchenschiffs.
    »Gut. Ich hol' dich gegen Viertel vor fünf mit dem Papstmobil ab.«
    Mike nickte wieder. Pater Cavanaugh bezeichnete das Auto der Pfarrei - einen schwarzen Lincoln Town Car - immer als Papstmobil. Anfangs hatte der Ausdruck Mike

Weitere Kostenlose Bücher