Sommer der Nacht
zutiefst schockiert, aber dann war ihm klar geworden, daß Pater C. diesen Scherz wahrscheinlich mit niemandem sonst machte. Er bekam vielleicht sogar größere Schwierigkeiten, wenn Mike den Ausdruck gegenüber anderen wiederholte - Mike hatte manchmal Visionen von zwei Kardinälen aus dem Vatikan, die aus einem Helikopter sprangen, Pater C. im Pfarrhaus die Hölle heiß machten und ihn mit Eisenkugeln an den Beinen abführten -, daher war der Scherz eigentlich eine Art Vertrauensbeweis, eine andere Art zu sagen: »Wir sind beide Männer von Welt, Freund Michael.«
Mike winkte zum Abschied und ging aus der Kirche ins Sonnenlicht des Sonntagmittags hinaus.
Duane arbeitete fast den ganzen Tag, reparierte den John-Deere-Traktor, spritzte das Unkraut im Straßengraben, trieb die Kühe von der Westwiese auf das Feld zwischen Scheune und Maisäckern und ging schließlich durch die Reihen, obwohl es noch zu früh zum Unkrautjäten war.
Der Alte war gegen drei Uhr morgens nach Hause gekommen. Duane hatte eines der Kellerfenster offen gelassen, obwohl es kein Fliegengitter hatte, damit er das Auto kommen hören konnte. Der Alte war betrunken, aber nicht so, daß er nicht mehr stehen konnte. Er kam polternd herein und machte sich unter noch mehr Poltern und Brummeln ein Sandwich in der Küche. Duane und Wittgenstein blieben im Keller, der alte Collie winselte sogar ein wenig, während sein Schwanz auf den Kellerboden klopfte.
Wenn der Alte sonntagmorgens keinen Kater hatte, spielten er und Duane Schach bis zum Mittag. Diesen Sonntag gab es kein Schachspiel.
Es war schon Nachmittag, als Duane von seinem Spaziergang durch die Reihen zurückkam und den Alten auf dem Holzgartenstuhl unter der Pappel auf dem Südrasen fand. Im Gras um ihm herum war eine Sonntagsausgabe der New York Times ausgebreitet.
»Hab' ganz vergessen, daß ich die gestern aus Peoria mitgebracht habe«, murmelte der Alte. Er rieb sich die Wangen. Er hatte sich seit zwei Tagen nicht mehr rasiert, die grauen Stoppeln sahen im Licht fast silbern aus.
Duane setzte sich ins Gras, sah den Stapel durch und suchte nach der Literaturausgabe. »Die Zeitung vom letzten Sonntag?«
Der Alte grunzte. »Verdammt, was hast du erwartet, die Zeitung von heute?«
Duane zuckte die Achseln und las die Beilage. Sie handelte fast ausnahmslos von Shirers Aufstieg und Fall des Dritten Reiches und anderen Büchern, aus denen man nach der Verhaftung von Adolf Eichmann in Buenos Aires letzte Woche Kapital schlagen konnte.
Der Alte räusperte sich. »Ich wollte ... äh ... gestern nacht nicht so spät nach Hause kommen. Aber ein hühnerbrüstiger kleiner Professor aus Bradley hat angefangen, in einem kleinen Pub in der Adams Street mit mir über Marx zu diskutieren, und ich ... na ja, bist du zurechtgekommen?«
Duane nickte ohne aufzusehen.
»Hat dieser Soldat die Nacht hier verbracht?«
Duane ließ die Literaturbeilage sinken. »Welcher Soldat?«
Der Alte strich sich wieder über Wangen und Nacken und bemühte sich augenscheinlich, Wahn und Wirklichkeit voneinander zu trennen. »Äh ... ich kann mich erinnern, daß ich einen Soldaten mitgenommen habe. Ich hab' ihn bei der Brücke über den Spoon River aufgelesen.« Er rieb sich erneut die Wangen. »Normalerweise nehme ich keine Anhalter mit ... das weißt du ... aber es fing an zu regnen ...« Er verstummte und sah Richtung Haus und Scheune, als könnte der Soldat immer noch auf dem Pritschenwagen sitzen. »Ja, jetzt kann ich mich deutlicher erinnern. Er hat die ganze Fahrt über kein Wort gesagt. Nur genickt, als ich ihn gefragt habe, ob er gerade aus dem Dienst entlassen worden wäre. Das Tolle ist, ich wußte gleich, daß etwas nicht stimmte, wie er angezogen war, aber ich war so ... äh ... müde, daß mir nicht aufgefallen ist, was es war.«
»Was war es denn?« sagte Duane.
»Seine Uniform. Es war keine moderne Uniform. Nicht einmal eine Eisenhower-Jacke. Er trug dicke Drillichsachen ... brauner Stoff ... einen alten Militärhut mit breiter Krempe und Wickelgamaschen.«
»Wickelgamaschen«, sagte Duane. »Du meinst die Schuhe, die die Landser damals im Ersten Weltkrieg getragen haben?«
»Ja«, sagte der Alte. Er kaute auf dem Nagel des Zeigefingers, wie er es immer machte, wenn er über eine neue Erfindung oder eine Methode nachdachte, schnell reich zu werden. »Eigentlich stammte alles an dem Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg ... Wickelgamaschen, Nietenstiefel, der alte Militärhut, sogar ein
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