Sommer der Sehnsucht
deutete Jesse auf die Landkarte an der Wand, auf der Hunderte von Filialen eingezeichnet waren.
Doch Bella beachtete weder ihn noch seine Präsentation. Stattdessen schlenderte sie durch die Gänge, warf einen Blick auf die Arbeitsplätze und durchstöberte die Papierkörbe.
„Was tust du da?“, fragte er irritiert und trat hinter sie.
Bella drehte sich um und warf ihm einen triumphierenden Blick zu. In der Hand hielt sie eine leere Limonadendose. „Sieh dir das an. Du trennst ja nicht einmal den Müll!“
Der Mitarbeiter in der Nähe unterdrückten das Lachen. Ein einziger Blick genügte, und der Mann war auch schon wieder still. Jesse hatte ihr in aller Seelenruhe alles gezeigt und alles erklärt. Und was machte sie? Sie stürzte sich auf eine leere Getränkedose! Auch wenn er es nicht fassen konnte, bewunderte er insgeheim ihr Engagement. Und er ertappte sich bei dem Gedanken, dass er ihr viel lieber in einer anderen Umgebung sinnliche Schauer beschert hätte. Du lieber Gott! Jesse riss sich zusammen. Bella stand vor ihm, hielt ihm eine Standpauke – und er konnte nur daran denken, sie zu verführen. Was war bloß los mit ihm?
„Natürlich trennen wir den Müll, Bella“, sagte er ruhig. Kopfschüttelnd betrachtete er ihre Miene, die Entrüstung und Bellas Gerechtigkeitssinn widerspiegelte. „Die Reinigungskräfte kommen aber immer erst am Abend.“
„Wer’s glaubt“, murmelte sie und warf die Dose zurück in den Papierkorb. „Es sieht dir ähnlich, dass du lieber jemanden dafür bezahlst, anstatt die Arbeit selbst zu erledigen.“
„Wie bitte?“
„Du hast mich schon verstanden“, erwiderte sie leise, aber eindringlich. „Solange alles gut läuft und du deine Gewinne einfährst, ist dir deine Firma doch völlig gleichgültig. Du bittest deine Angestellten ja nicht einmal, den Müll zu trennen. Ist es wirklich zu viel verlangt, an jeden Arbeitsplatz zwei Papierkörbe zu stellen? Die persönliche Verantwortung für das zu tragen, was du herstellst?“
Der Mitarbeiter straffte die Schultern, blickte starr auf den Bildschirm seines Computers und begann zu schreiben, als würde er von all dem nichts hören. Kopfschüttelnd ergriff Jesse ihren Arm und führte Bella von dem Schreibtisch weg, bis sie außer Hörweite waren. Ganz bestimmt würde er sich nicht vor seinen Angestellten rechtfertigen.
„Ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber diese Arbeitsplätze sind zu klein, um sie noch weiter zuzustellen.“
„Das ist eine billige Ausrede.“
„Wo ist das Problem? Der Müll wird doch jeden Abend getrennt entsorgt.“
„Es geht ums Prinzip“, murmelte sie und verschränkte die Arme vor der Brust, womit sei unbewusst seinen Blick auf ihre wohlgeformte Oberweite lenkte.
„Ums Prinzip“, wiederholte Jesse. „Du findest also, dass es ein Unterschied ist, ob ich es tue, oder jemand, den ich engagiert habe?“
Sie verzog das Gesicht.
„Okay“, sagte Jesse und beugte sich dicht zu ihr. „Wäre es dir lieber, wenn ich das ganze Reinigungspersonal entlasse? Wäre die Welt dann ein besserer Ort, Bella? Wenn ich zwanzig Leuten ihren Job wegnehme? Würde ich dann mehr für die Umwelt tun?“
Jetzt wurde ihr Blick noch finsterer. Doch schließlich ließ sie die Schultern fallen und atmete tief aus. „Also gut, ich verstehe deine Haltung.“
Jesse lächelte. Sie mochte anstrengend sein, aber immerhin gab sie es zu, wenn sie im Unrecht war. Dass sie darüber nicht sehr glücklich zu sein schien, war ihm egal. Sie hatte ihn verstanden. „Scheint so, als hätte ich endlich mal Glück! Ich habe einen Punkt Vorsprung vor Bella Cruz.“
Sie stieß einen verächtlichen Laut aus.
Er hob eine Hand und bedeutete ihr zu schweigen, während er noch breiter lächelte. „Halt. Ich möchte diesen Moment unbedingt genießen und mich an meinem Triumph erfreuen.“
Nachdem einige Sekunden verstrichen waren, atmete er tief aus und meinte gut gelaunt: „Okay. Ich bin fertig.“
Sie verdrehte die Augen, sagte jedoch nichts.
„Also, wie wäre es, wenn wir jetzt unsere Tour fortsetzen?“ Jesse griff nach ihrer Hand.
Bella reagierte zunächst nicht auf seine Geste, umschloss seine Hand aber schließlich mit den Fingern. Während Bella sich von ihm durch die Räume führen ließ und hin und wieder mit einem seiner Angestellten plauderte, lächelte Jesse. Sie nahm hier jeden mit ihrem Charme für sich ein.
Offenbar hatte seine Unbekannte noch viele andere Seiten – die sie ihm leider vorenthielt.
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