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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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der Bank vor mir. Tonnenschwer. Eiskalt. Die Eisfiguren füllen wieder meinen Kopf. Sie haben eine perfekte Ordnung gefunden, wie auf einem dreidimensionalen Bild.
    Ich rühre mich nicht.
    Die Messe beginnt.
    Das Dorf
    »Huren, Huren.« Ein Lancia Y10 fährt haarscharf am Bürgersteig entlang. Anna und ihre Schwester sind allein.
    Um drei Uhr nachmittags ist kein Mensch in der Via Garibaldi unterwegs.
    Der Wagen streift Annas Arm. Der dadurch entstehende Luftzug lähmt sie.
    Im Y10 sitzen zwei Frauen. Die Fahrerin tritt auf die Bremse. Der Wagen hält abrupt. Die Frau legt den Rückwärtsgang ein und fährt zurück. Anna umklammert die Hand ihrer Schwester. Ihre andere Hand zittert. Anna versucht, dieses Zittern zu verstecken. Sie schaut auf und richtet den Blick auf das Gesicht der Fahrerin, die neben ihnen angehalten hat.
    Anna schweigt. Aber sie starrt die Frau an. Ihre Augen sind unendlich tief, in ihnen liegt ein ganzes Leben.
    Die Frau lacht, lässt nicht einmal die Fensterscheibe herunter und tut so, als müsste sie sich vor Ekel übergeben. Die andere auf dem Beifahrersitz lacht heftig. Ein stummes Lachen hinter den geschlossenen Wagenfenstern.
    Anna lockert den Griff um die Hand ihrer Schwester. Der Wagen fährt los. Anna gibt der Kleinen einen Kuss und lächelt sie an. Die erwidert das Lächeln.
    »Es ist alles in Ordnung«, flüstert Anna ihr zu.
    Sie haben den Laden erreicht, wo sie Milch kaufen wollen.
    Der Wagen hat sich entfernt.
    Annas Hand zittert zwar nicht mehr, aber das Zittern ihres Herzens kann sie nicht aufhalten.

Schwester Mimma, die Lumpenpuppe
    I ch kauere über einer blauen Plastikschüssel und pinkele hinein. Warme Tropfen spritzen auf meine Beine. Deshalb drücke ich sie noch etwas auseinander, vorsichtig, damit ich nicht hinfalle. Das Gummiband der Unterhose spannt sich und drückt auf die Knöchel. Ich halte den Rock mit den Händen hoch.
    »Bist du fertig?«
    »Ja, Schwester Mimma.«
    Balancierend lasse ich die letzten Tropfen heraus. Schwester Mimma hält mir zwei Blatt Toilettenpapier hin. Ich trockne mich ab und werfe sie in einen Papierkorb. Wir sind in einem kleinen Raum in der Kirche. Nur sie und ich. Dort gibt es einen Schreibtisch und einen großen Schrank, ein Regal mit nach dem Zufallsprinzip hineingestellten Büchern. Und einen Jesus am Kreuz, der mich von einer Wand anblickt. Aber das stört mich nicht. Vor ihm schäme ich mich nicht. Mir ist es wesentlich unangenehmer, dass ich Pipi mache, und das nicht auf der Toilette.
    Ich ziehe die Unterhose hoch und lasse den Rock herunter. Dann nehme ich die Schüssel hoch. Ich weiß nicht, wo ich hinsehen soll. Was ich machen soll.
    »Ja, sehr gut, stell sie auf den Schreibtisch.«
    Schwester Mimma taucht ein graues Stäbchen in die Schüssel. Sie ist weder jung noch alt, hat ein eiförmiges Gesicht und zwei kleine dunkelbraune Augen. Ihr winziger Kopf scheint aus Versehen auf einem so mächtigen Körper gelandet zu sein. Der Kopfschleier fällt ihr schwer über die Schultern. Dieses Tuch auf dem Kopf. Cap’ e pezz’ heißen die Nonnen im Dialekt, als wären sie Vogelscheuchen. Seelenlose Lumpenpuppen. Ich sehe sie an und schweige.
    »Don Antonio hat mir gesagt, du hättest Angst, schwanger zu sein.«
    »Schwanger?«
    »Du hast mit einem älteren Jungen geschlafen?«
    »Nein.«
    »Du brauchst dich nicht zu schämen, Anna Maria. Aber du darfst so was nie wieder tun. Du bist ein anständiges Mädchen, und eines Tages wirst du heiraten und viele Kinder haben wollen …«
    »Schwester Mimma, hat Ihnen Don Antonio denn nicht erzählt, dass ich das nicht wollte, dass die mich in diese Hütte gebracht haben …«
    »Kinder müssen zum richtigen Zeitpunkt kommen … sonst sind sie ein Problem.«
    Schwester Mimma redet weiter, während sie das Stäbchen aus meinem Pipi zieht.
    »Sei so lieb, Anna Maria, schütte das dort in die Toilette. Ich bin fertig. Jetzt müssen wir nur noch etwas warten …«
    Ich bringe die Schüssel zur Toilette, schütte sie ins Becken aus und ziehe an der Spülung. Dann gehe ich zu Schwester Mimma zurück. »Sehr gut, Anna, sehr gut«, lobt sie mich und empfängt mich mit einem Lächeln.
    »Ich habe die Schüssel mit Wasser und Seife gereinigt«, sage ich.
    »Du bist nicht schwanger. Sehr gut, Anna.« Jetzt lächelt sie zufrieden.
    »Wenn man Liebe macht, kriegt man dann Kinder?«, versuche ich zu fragen.
    »Anna, es reicht jetzt mit diesen Geschichten.« Ihre Stimme wird wieder ernst. Die kleinen Augen in dem

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