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Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition)

Titel: Sommer des Schweigens: Ich war in der Gewalt dreier Männer. Und ein ganzes Dorf sah zu (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maria Scarfò
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eiförmigen Gesicht weiten sich. »Du bist dreizehn Jahre alt. Was willst du mit deinem Leben anfangen? Es ist noch zu früh, um über Liebe und Kinder zu sprechen.«
    »Sie haben doch von Kindern gesprochen.«
    »Na selbstverständlich, wir mussten das natürlich sofort überprüfen, denn mit einem Kind wäre es viel komplizierter. Verstehst du?«
    »Aber hat Ihnen Don Antonio nicht erzählt …«
    »Anna, würdest du gern für eine Weile aus San Martino weggehen? Weißt du, es gibt da Nonnen in Polistena, die haben ein großes Haus, dort sind andere Mädchen wie du. Dort könntest du weiter zur Schule gehen …«
    »Aber ich bin doch bald fertig mit der Schule«, unterbreche ich sie.
    »Dort kannst du neue Freundschaften schließen und wärst weit weg von solchen Gedanken und gewissen Freunden, die du hier hast.«
    Sie nimmt meine Hände und legt einen Rosenkranz hinein. Einen kleinen Rosenkranz mit Perlen aus hellem Holz.
    »Anna, meine kleine Anna, den hier schenke ich dir. Du musst jetzt stark sein. Und du bist nicht allein. Ich bin ja da. Und Maria …«
    Mein Magen krampft sich zusammen. Ich umklammere den Rosenkranz, und ihre Hände schließen sich um meine Hände. Die Holzperlen drücken sich schmerzhaft in mein Fleisch.
    »Zu Hause hast du nichts erzählt?«
    Ich schüttele stumm den Kopf, denn ich habe Angst, dass ich mich übergeben muss, wenn ich den Mund öffne. Dass ich auf den Rosenkranz brechen muss und auf Schwester Mimmas Hände.
    »Gut. Gut. Wenn du mit deinen Eltern nicht darüber reden willst, werde ich dein Schweigen respektieren. Ich bin ja beinahe so etwas wie ein Pfarrer. Was du mir sagst, bleibt unter uns. Maria wird uns schon leiten. Und im Lauf der Woche fahren wir zu den Nonnen von Polistena. Um deine Mutter kümmere ich mich, du musst nur ruhig bleiben, und alles wird gut.«
    Ich verlasse Schwester Mimma und ihre merkwürdigen wirren Vorstellungen. Dieses ganze Gerede von Kindern, den Nonnen von Polistena, meiner Mutter Lügen zu erzählen. Das Pipi in der Schüssel.
    Ich gehe nach Hause. Aber dort bleibe ich nur so lange, bis ich mir die Hose meines Jogginganzugs und die Turnschuhe angezogen habe. Dann nehme ich mein Fahrrad und gehe raus, fahre an der alten Eisenbahnstrecke entlang, die Räder ganz nah an den Gleisen. Die Luft duftet nach Rosmarin und Erde. Hier draußen fühle ich mich wohl. Hier gibt es zwar jede Menge kleiner Fliegen, aber es stört mich nicht, wenn sie mir in die Augen kommen oder an meinen Lippen hängen bleiben. Ich trete in die Pedale, und in meiner Nähe ist niemand. Ich strampele dem Himmel entgegen, der weder weiß noch grau ist. Er wirkt leer, wie abwartend, die Wolken verschwimmen ineinander.
    Es ist Frühling. Ein Kind wirft einen Ball immer wieder gegen ein Garagentor. Das Geräusch kommt und geht in meinem leeren Herzen.
    Das Dorf
    Aurora sitzt im Wagen. Ihr Mann fährt. Bei ihnen ist ihre Schwester Tiziana. Außerdem Anna, ihre Schwester und drei von ihren jüngeren Cousinen. Sie sind zu acht im Auto, zusammengedrängt, die Kleinsten sitzen auf dem Schoß ihrer Mütter. Damit etwas Luft hineinkommt, haben sie die Fenster geöffnet.
    In der Via Lo Schiavo, die sie gerade entlangfahren, wollen sie an der Api-Tankstelle ganz in der Nähe der Carabinieri-Kaserne tanken. Ihnen kommt ein grüner Lancia Y10 entgegen. Aurora erkennt schon von Weitem die Frau am Steuer. Es ist eine von denen. Eine von ihren Ehefrauen. Neben ihr sitzt ein Mädchen. Es scheint noch sehr jung zu sein, aber Aurora kennt es nicht.
    Der Y10 wird langsamer, und als er an ihrem Wagen vorbeifährt, steckt die Frau den Kopf aus dem Fenster und brüllt mit verzerrtem Mund: »Gesindel, Hurenpack!« Die acht im Wagen schlucken alle. Auch die kleinen Kinder.
    An der Kreuzung wendet der Y10. Er fährt zurück zum Wagen der Scarfòs. Überholt ihn und stoppt, sodass Auroras Mann gezwungen ist zu bremsen.
    Der Wagen mit den acht Insassen hält abrupt. Alle werden nach vorn geschleudert. Der Y10 fährt wieder an und dann weiter. Jetzt sind sie vor dem Tor der Carabinieri-Kaserne.

Die Überraschung
    D rei Tage nachdem ich vor dem Jesus in die Plastikschüssel gepinkelt habe, kommt Schwester Mimma zu uns nach Hause.
    »Guten Morgen, Signora Aurora, entschuldigen Sie den überraschenden Besuch. Ist Anna Maria da?«
    Ich bin in meinem Zimmer, als ich Schwester Mimmas Stimme höre. Ich bleibe auf meinem Bett liegen und rühre mich nicht. Am liebsten würde ich aufhören zu atmen. Ich reiße die

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