Sommer in Lesmona
liebe
und lebe! Ich denke nur vom Morgen bis zum Abend, und wenn ich im Bett bin,
schlafe ich sofort ein. Das tut mir oft so schrecklich leid, weil ich den Tag
und alles Glück so gern noch einmal durchdenken möchte. — Warum soll ich mich um
die Zukunft quälen, wenn die Gegenwart sooo schön ist?
Nun muß ich mich aber rasch waschen und
anziehen, es ist höchste Zeit, und der neue Tag ruft mich.
In großer Liebe
Deine Matti
Lesmona, den 8. Juni 94
Liebe liebste Bertha!
Du fragst in Deinem heutigen Brief, ob
Percy sich erinnert, daß Ihr Euch dreimal begegnet seid. Ich fragte ihn gleich,
und er weiß es genau, und er erinnert, daß Du blonde lockige Haare und braune
Augen hast, und er würde Dich so gern einmal wiedersehen, denn ich erzähle ihm
dauernd von Dir.
Liebste Bertha, wir Menschen sind doch
Beester — Denke Dir, heute beim Frühstück erzählt Onkel Herbert ganz erfreut,’
daß es Fräulein Kaiser nun besser ginge und daß sie hoffte, bald hierher zu
können. Da hatte ich schlechtes Subjekt nur den einen Wunsch, daß sie
sich nicht so rasch erholen sollte, denn mit unserem Glück wäre es dann
hier vorbei. Nachher, als ich es Percy berichtete, sagte er: «Es ist gar nicht
so schlecht, wenn wir sie jetzt noch wegwünschen, nichts, was die Liebe
wünscht und ersehnt, ist ganz schlecht, und wir wollen ihr für später
ein langes Leben wünschen.»
Und dann war wieder gestern ein so
bezaubernder Tag, von dem ich Dir erzählen muß. Onkel Herbert hatte keine Lust
zu reiten, und er wollte in Leuchtenburg einen Besuch machen. Da schlug er bei
Tisch vor, er wollte um 4 mit Percy und mir nach Bruns’ Garten fahren, da mit
uns Kaffee trinken, dann seinen Besuch machen und uns nach 1½ Stunden wieder
abholen. Und so saßen wir ganz unten auf der Bank, dicht bei den Wiesen und Feldern,
die Du sicher noch von Hoheneichen erinnerst. Der Kaffee und der Butterkuchen
und alles war so schön und Onkel Herbert mit uns in bester Laune. Percy rauchte
aber wieder so viele Zigaretten, und Onkel Herbert ermahnte ihn, das doch nicht
zu tun — es sei nicht gut für seine Bronchitis, die er nach der Influenza
hatte. Percys Zigarettenetui lag auf dem Tisch, es ist ganz besonders schön:
aus Silber und links oben das alte Roesnersche Wappen mit den drei Rosen. Ich
nahm es in die Hand und fragte zum zweiten Male, von wem er es hätte. Und er
sagte zum zweiten Male: «Ich sage es dir nicht, vielleicht später, wenn du
älter bist.» Ich: «Ist es von einem weiblichen Wesen?» Er: «Ja, das ist es.» In
meinem Innern begann schon der Vulkan zu toben, aber ich tat ganz gleichgültig
und sagte nur etwas gereizt: «Wenn du jetzt bis zu unserer Abfahrt noch eine
Zigarette rauchst, gebe ich dir heute nachmittag keinen Kuß mehr und komme
heute abend nicht zum Gutenachtsagen nach Nizza.» Er: «Das wollen wir erst mal
sehen.» Nun sah er mich wieder so furchtbar belustigt an, mit den unglaublich
blauen Augen, die alles verraten, was sie denken. Ich habe noch nie so
sprechende Augen gesehen! Ich stand auf und sagte: «Komm, wir wollen nach der
Mühle heraufgehen, und will dir da die süße Birkenallee zeigen — da bist du
noch nie gewesen, und dahin können wir auch mal reiten.»
Als wir in der Birkenallee sind, setzt
er sich an den Wegrand, um sein Schuhband zuzubinden. Ich bleibe vor ihm
stehen. Da nimmt er aber erst in großer Seelenruhe eine Zigarette aus dem Etui
und steckt sie sich an. Dann sieht er mich ganz bezaubernd an und sagt: «Komm,
Daisy, setz dich zu mir ins Moos.» «O bewahre», sage ich, «das fällt mir gar
nicht ein, ich gehe jetzt weit weg, und mit den Küssen ist es für heute vorbei, das schwöre ich dir.» Er rief mir nach: «Daisy, du hast eben ganz sicher
einen falschen Eid geschworen.» Ich lief die Birkenallee zu Ende und versteckte
mich dann ein gutes Stück dahinter im Gebüsch. Leider hatte ich aber ein weißes
Sommerkleid an, und er hatte mich doch wohl entdeckt, denn einige Minuten
später kam er mir nach, aber gar nicht eilig, und er rauchte seine Zigarette
dabei. Ich lief weg und er hinterher — es war ein richtiges «Kriegen»-Spiel.
Natürlich hatte er mich sehr bald gefangen, warf seine Zigarette weg und hielt
mich an beiden Händen fest. Er sagte: «Daisy, bist du böse?» Ich: «Natürlich
bin ich böse, daß du rauchst, wenn ich dich gerade gebeten habe, es
nicht zu tun.» Er: «Nein, gebeten hast du mich nicht, denn dann hätte
ich es wahrscheinlich nicht getan! Du hast mir nur
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