Sommer in Lesmona
Du hast auch
mit dem Bogen auf ihre Schulter geklopft. Nun bedenke, daß sie jeden Morgen 2-3
Stunden übt, und zwar nur für Dich. Hinterher hat sie Rückenschmerzen, was sie
Dir verheimlicht. Sie liebt Dich so sehr und würde alles für Dich tun. Wir
haben in unserer Klavierstunde sehr wenig gelernt, was Bertha und ich jetzt
beide beklagen. Was Bertha nachher nachgeholt hat in Hannover, ist einfach
phantastisch. Ich hätte es nicht gekonnt. Nun begleitet sie Dich abends, und
dann wirst Du ungeduldig, wenn sie es nicht kann. Bitte sei es nicht mehr,
lieber John, ich weiß genau, daß Du sie hebst und daß Du sie glücklich machst,
aber gerade deshalb darf ich Dir dies doch sagen. Sie hat es nie mit einem Wort
erwähnt, und ich habe ihr auch nichts gesagt, weil es sie bedrückt haben würde.
Nun verzeihe es mir und sei lieb beim Spielen zu ihr, so wie sie es verdient,
dieser Engel an Güte und Liebe.
Es umarmt Dich
Deine Marga
PS.
Ich schicke diesen Brief zum
Hannoverschen Courier, damit Bertha nichts merkt.
Bremen, 20. September 95
Liebe liebste Bertha!
Daß John Dir nun doch von meinem Brief
an ihn etwas verraten hat, hat mich zuerst geärgert, aber es ist ja nun zu
allseitiger Zufriedenheit und gut ausgelaufen, und Eure beiden Briefe waren so
bezaubernd, daß ich mich schämte! — Nur möchte ich gern noch, daß Du weniger
übst, denn ich sehe hinterher, wie es Dich angreift, obwohl Du das Gegenteil
behauptest! —
Heute bestellte Mama die ersten
Aussteuersachen mit mir bei Uhlenhoff und Rabe, und ich dachte zurück an das
letzte Jahr, wo wir Deine Sachen bestellten!!
Für heute lebewohl!!
In großer Liebe
Deine Matti
Dresden, den 6. Oktober 95
Union Hotel
Meine liebe einzige Bertha!
Es war schön, Dich in Hannover an der
Bahn zu sehen, wenn auch nur kurz — aber daß Du selbst Mama beredet hast, mich
auf der Rückreise ein paar Tage in Hannover zu lassen, war doch wirklich das
kurze Wiedersehen wert. Nur flehe ich Dich an, nicht wieder zur Bahn zu kommen
bei meiner Ankunft, es greift Dich doch etwas an, und ich nehme einfach einen
Einspänner und komme zu Euch.
Nun will ich Dir aus Dresden erzählen.
Mama ist zum ersten Mal nach Großmama Struves Tod wieder in Dresden, und ich
merke, daß es sie sehr bewegt. Wir waren heute früh auf dem Kirchhof und
besahen dann nochmal das schöne, alte Struvesche Haus in der Wiener Straße. An
der Bahn waren Rudi, Alexander Struve, Paul Stübel und Gretchen Schröber. Am
ersten Tag mittags, als wir in den Table-d’hôte-Saal gingen, übersahen wir die
lange Tafel, und Mama sagte zu mir, daß Rudi zwischen uns sitzen sollte. Ich
weiß nicht, ob er es verstanden hatte. Jedenfalls strebte er voran und setzte
sich sofort neben eine auffallende, interessant aussehende Frau, dann kam ich,
dann Mama. Kaum saßen wir, als Rudi schon die dunkle Dame anredete. Er hatte
sie aus der Oper wiedererkannt, und es war die italienische Ballettmeisterin.
Er sprach sofort italienisch mit ihr. Ich würde gar nichts dabei
gefunden haben, wenn er sich nur zwischendurch auch mal mit mir unterhalten
hätte! Aber das geschah keineswegs. Mama war zum Schluß sehr böse, und ich
beruhigte sie nach besten Kräften. Ich bin schon so gut angelernt, daß ich gar
nichts von ihm erwarte, und dieses fand ich beinahe selbstverständlich, da er
so gern italienisch spricht.
Am anderen Morgen kamen die
Besichtigungen der Etagen. Es kamen drei in Frage, und wir mieteten das
Parterre der Liebigstraße 16. Das Haus hat zwei Stockwerke und liegt frei im
Garten, in dem wir eine Laube für uns haben. Es sind sechs Zimmer — nebst Bad,
Küche, Schrank- und Mädchenzimmer, alles groß und hell. — Beim Aussuchen der
Möbel kam Rudi sich mit Mama in die Haare. Er wollte keine Übergardinen,
sondern nur helle seidene. Ich schlug vor, er sollte das doch in seinem
Arbeitszimmer so machen, was er ja selbst einrichtet, und so wird es nun
werden.
Wir machten Besuche bei Rudis drei
Vorgesetzten: Geheimrat Woermann, Lehrs und von Seidlitz. Frau Woermann liebe
ich jetzt schon, sie wohnt ganz in unserer Nähe. — Dann besuchten wir Mamas
Vetter General von Hübel und Frau, und wir waren dann noch zum Tee bei ihnen.
Die Unterhaltung mit der Italienerin geht weiter, und Mama kocht bereits! Er
ist eben nicht die Spur in mich verliebt und auch nicht ritterlich. Mama macht
oft bittere Bemerkungen. Sie sagte: «Ich habe ihn mir doch anders vorgestellt.»
Meine Gefühle sind schwankend.
Die Stadt
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