Sommer mit Nebenwirkungen
sie sich lächelnd noch einmal an Sophie: »Unterschätzen Sie niemals den Doktor aus Wien, er kannte uns Menschen gut.«
6
Als Sophie aufwachte, roch sie als Erstes die frische Hotelbettwäsche. Blinzelnd öffnete sie die Augen – und freute sich. Sie liebte dieses schöne alte Wiener Hotel mitten in der Stadt. Es war wirklich alt, nicht wie in Berlin, wo im Adlon oder im Stadtschloss Altes nachgebaut wurde, ein Disneyland der Vergangenheit. In Wien hatte es nie den Bruch gegeben, den Berlin durch die Zerstörung im Krieg erlitten hatte. Altes war hier wirklich alt, mit Patina. Von der Decke hing ein prächtiger Kronleuchter, unten glänzte ein schöner Parkettboden, darüber lag ein üppiger Perserteppich. Selbst das Doppelbett, in dem sie lag, war antik. Zumindest der Rahmen aus dunklem Kirschholz. Sie schaute aus dem Fenster über die Dächer Wiens, diese wunderbar gewölbten, kupfernen Jugendstildächer, die dank ihres jahrhundertealten Grünspans seegrün leuchteten. Die Dächer hatten etwas Wogendes. Sophie liebte die Großzügigkeit des alten Wien, wo alles bis in die Dachspitzen durchgestaltet war. In der modernen Architektur waren die Dächer von Bürogebäuden nur noch Flächen, wo Abluftrohre diskret ihren Ausgang fanden. Dort konnte man technische Funktionen auslagern, den Rest isolierte man gut und bestreute ihn mit Kies. Warum hatten sich die früheren Wiener Architekten so viel Mühe mit Details gemacht, die doch von der Straße aus niemand entdecken konnte? Eine Weile lag sie noch mit offenen Augen da und schaute hinaus. Ein Spaghetti-Träger rutschte von der Schulter. Es war still im Raum.
Sie rollte sich zur anderen Bettseite, dorthin, wo Johann liegen sollte. Nur sein Körperabdruck war noch im Laken zu ahnen. Es überraschte sie nicht besonders, dass er schon aufgebrochen war. Arbeit, klar. Sophie ärgerte sich, obwohl sie wusste, dass das nicht fair war. Auf seinen Reisen machte Johann so viele Termine wie möglich, damit sie sich lohnten. Auch die Abende waren verplant. »Die besten Geschäfte werden beim Essen gemacht.« Deshalb hatten sie den gestrigen Abend auch nicht wie erwartet zu zweit verbracht, sondern sich in einem unverschämt teuren Restaurant mit einem Aserbaidschaner und seiner Freundin getroffen. Sophie kannte solche Orte durch Johann zur Genüge. Bei seinen Geschäften ging es um viel Geld. Johann, der studierte Ingenieur, verkaufte und verkaufte. Diesmal ging es um den großen Maschinenpark eines Autozulieferers vom Bodensee. Vor zehn Jahren hatte der Firmenchef noch einmal richtig in den Betrieb investiert und neue Technik angeschafft. Nun konnte er aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterarbeiten, seine Kinder wollten sich aber lieber ausbezahlen lassen, als den Betrieb zu übernehmen. Alles stand zum Verkauf. Der Aserbaidschaner verhandelte als Strohmann. Er sah wirklich finster aus, seine Freundin hingegen war überirdisch schön. Hohe Wangenknochen, ein voller Mund, dazu das schwarze, zum Pagenkopf geschnittene glatte Haar. Und tiefblaue Augen. Johann wollte das Geschäft mit dem Aserbaidschaner unbedingt abschließen, denn der würde auch den überhöhten Preis, den er für den Maschinenpark angesetzt hatte, bezahlen. Deshalb sollte sich Sophie besonders um die weibliche Begleitung bemühen. Doch die schöne Aserbaidschanerin schien nicht an Konversation interessiert zu sein, sie wirkte etwas hochnäsig, außerdem sprach sie schlecht Englisch und Sophie kein Russisch. Die Frauen schauten also im Restaurant dekorativ vor sich hin, zwei wunderschön anzusehende Trophäen ihrer Männer. Der Abend zog sich in die Länge, darüber konnte auch der Fasan mit Mohnkruste nicht hinwegtäuschen. Sophie trank viel Champagner, die schöne Aserbaidschanerin auch. Nach dem Restaurantbesuch war Sophie so beschwipst, dass an ein ernstes Gespräch nicht mehr zu denken war. Johann hatte noch nichts vom Eklat im Assessment-Center, dem misslungenen Gabeltest oder von der Dame im Flugzeug nach Wien erfahren. Und jetzt war er schon wieder weg. Sophie rollte sich auf ihre Bettseite zurück. Die kühle Seide des Nachthemdchens fühlte sich gut an. Zumindest heute Nacht hatte der Champagnerrausch gute Dienste geleistet, endlich mal wieder Sex, normalen, guten, erwachsenen Sex, ohne diese ganzen Babygedanken. Sophie lächelte.
Seufzend setzte sie sich auf. Zum Glück bekam man von Champagner keine Kopfschmerzen. Auf dem Boden lag eine offene Dose Erdnüsse, auf dem Tisch der Suite knüllte
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