Sommer mit Nebenwirkungen
bitte …«, fragte Sophie irritiert und wandte sich wieder ihrer Sitznachbarin zu. »So, jetzt kennen Sie also meine jüngste Geschichte, aber da kann mir die Psychoanalyse auch nicht weiterhelfen. Durch stundenlanges Liegen auf der Couch und Räsonieren über Träume ist noch keine Frau schwanger geworden … Die Methoden des guten Doktors aus Wien würden an mir scheitern.«
Die alte Dame strich sanft den schweren Stoff ihres Kostüms glatt.
»Seien Sie nicht zu voreilig. Doktor Freud verfügte über viel Lebenserfahrung – er war schließlich Vater von sechs Kindern, drei davon Mädchen. Unerfüllter Kinderwunsch ist ein altes Thema, im 19. Jahrhundert waren manche Frauen genauso sehnsüchtig wie heute. Eine dieser Frauen war seine älteste Tochter Mathilde. Sie müssen wissen, vieles, was in der Familie Freud vorging, wird bis heute zurückgehalten – wir, die interessierte Öffentlichkeit, erfahren nur, was ins Bild passt. Aber es gibt Gerüchte …«
Sie schaute Sophie ernst an. »Darf ich Ihnen einen Rat geben? Wenn Sie in Wien sind und ein wenig Zeit haben, dann statten Sie doch der Berggasse 19 einen Besuch ab.«
»Dort hatte er doch seine Praxis«, meinte Sophie argwöhnisch.
»Genau. Sigmund Freud praktizierte in der ersten Etage, Wand an Wand mit den Wohnräumen der Familie. In der Berggasse wuchsen alle seine Kinder auf. Heute hat man dort ein Museum und Archiv eingerichtet. Fragen Sie nach dem Archivar, Herrn Dr. Gnoth. Richten Sie ihm einen Gruß von mir aus und erzählen Sie ihm Ihre Geschichte. Am besten, Sie lassen auch den Namen ›Mathilde‹ fallen. Womöglich hilft er Ihnen weiter. Oh, schauen Sie, die Stewardess sieht aber energisch aus. Will die etwa zu uns?«
Sophie blickte erschrocken zur Lampe. Hatte sie doch gedrückt? Nein, da leuchtete kein Lämpchen. Dieser Freud-Quatsch machte sie noch ganz verrückt. Nun stiegen auch die letzten drei Passagiere, auf die man noch gewartet hatte, ein. Alles würde gut werden, in wenigen Stunden war sie bei Johann. Die Stewardess blieb eine Reihe hinter ihr abrupt stehen.
»Wer möchte zuerst?«, fragte sie mit unüberhörbarem Spott in der Stimme. Sophie drehte sich um – hinter ihr leuchtete über sechs verschiedenen Sitzen das Flugbegleiter-Zeichen. Ein Mann erhob sich. Er sah eigentlich ganz nett aus, jung mit Brille, Typ Student, im blauen Hemd und in gebügelten Jeans, vielleicht Wirtschaftswissenschaftler. Doch sein angenehmes verhaltenes Äußeres stand im Gegensatz zu seinem panischen Blick. Aufgeregt zeigte er auf Sophie: »Fragen Sie die doch, was los ist.«
»Mich?«, entgegnete Sophie ehrlich erstaunt.
Jetzt sprang die Frau vom Fensterplatz auf. »So fliege ich nicht los, so nicht. Das muss geklärt werden. So nicht«, rief sie. Ein älterer, abgeklärt wirkender Mann versuchte, sie zu beruhigen. »Hören Sie, Frau Plettl, als ehemaliger Pilot sehe ich da technisch kein Problem. Sie sollten das Risiko nicht überbewerten.«
»Risiko?« Jetzt schrie die Frau fast. Eine Reihe hinter ihr erhob sich nun auch lauter Protest.
»Die Frau will uns abstürzen lassen«, rief jetzt der Brillenträger. Angstschweiß blitzte auf seiner Stirn.
Die Stewardess schaute genervt drein. »Beruhigen Sie sich bitte alle. Ich habe keine Ahnung, worum es hier geht.«
Nun stand eine Frau auf, die zwei Reihen hinter Sophie saß. An ihrem Jackett trug sie ein kleines Namensschild mit dem Lufthansa-Zeichen.
»Die Teilnehmer meines Flugangst-Seminars mussten leider gerade mit anhören, wie die Passagierin auf dem Sitz 13 E lautstark überlegte, ob ihr Handy, das sie wohl aus Versehen in ihren Koffer gepackt hat, an- oder ausgeschaltet sei. Für die vier Männer und Frauen, die heute das erste Mal seit vielen, vielen Jahren ein Flugzeug besteigen, ist dieser Flug eine große Herausforderung. Sie haben sich gut vorbereitet mit unseren Fluggeräusche-CDs, mit Filmen, wir sind in eine Wartungshalle der Flotte gegangen, und wir haben sogar einen ehemaligen Piloten mit an Bord, Kapitän Niberg, der während des Fluges Erklärungen abgeben wird. Aber all diese Mühe wird natürlich zunichtegemacht, wenn vor uns eine Passagierin sitzt, die so unverantwortlich ist, ihr eingeschaltetes Handy beim Einchecken mit abzugeben. Bis zum heutigen Tage ist es verboten, Handys bei Starts und Landungen angeschaltet zu lassen. Das hat sicher seinen Grund.« Anklagend schaute die Lufthansa-Dame Sophie an. Der ehemalige Pilot rollte die Augen. So ein Theater, drückte seine
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