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Sommer mit Nebenwirkungen

Sommer mit Nebenwirkungen

Titel: Sommer mit Nebenwirkungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Leinemann
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Miene aus.
    Die Stewardess schob sich nun eine Reihe zurück, immer eine Hand oben an der Sesselkante, so eine Art Stewardess-Moonwalk, mit dem man besonders schnell und effektiv durch den schmalen Mittelgang kam. Wie alt mochte sie sein, so um die dreißig? Die dunklen Haare streng zum Knoten zurückgebunden, Perlenohrringe, kein Ehering, die Fingernägel mit Klarlack gepflegt. Sie schaute Sophie durchdringend an. Grüne Augen, wie ungewöhnlich, dachte Sophie. Außerdem mochte sie die Art, wie das Halstuch gebunden war – ganz eng, mit einem Knoten links. Irgendwie erotisch, schoss es Sophie durch den Kopf. Ach, dieser verdammte Freud, jetzt spukte er überall herum.
    »Ihr Handy liegt also im Bauch des Flugzeugs. Ist es nun an- oder ausgeschaltet?«, fragte sie streng.
    »Ich vermute, es ist aus«, stammelte Sophie. Auch das noch. Was für ein Tag.
    »Was ich brauche, ist eine klare Antwort: an oder aus?« Der Ton der Stewardess wurde unerbittlich. Sophie schaute auf das Namensschild: Jessica.
    »Ja, Jessica, ich denke, ich habe es ausgeschaltet«, begann Sophie in dem Ton, mit dem sie sonst Assessment-Bewerbern den Weg wies, »denn ich bin eigentlich ein zuverlässiger Mensch, der …«
    »Sie wissen es also nicht genau«, fuhr Jessica dazwischen. Ein Jurist könnte nicht weniger haarspalterisch sein, dachte Sophie.
    »Ist es denn wirklich so wichtig, ob es an oder aus ist? Das passiert doch bestimmt bei fast jedem Flug. Nur, normalerweise wissen Sie es nicht. Können Sie nicht das eine Mal darüber hinwegsehen?«, versuchte es Sophie nun defensiv.
    Jessica antwortete nicht, sondern drehte sich ohne ein weiteres Wort ruckartig um. Sophie sah ihr nach, wie sie mit kerzengrade durchgedrücktem Rücken zur Wand vor dem Cockpit ging, das Telefon in die Hand nahm und offensichtlich kurz und wütend mit dem Kapitän sprach. Dann schaltete sie auf Mikrofon um:
    »Meine Damen und Herren, wir sind nun komplett geboarded, haben die Starterlaubnis vom Tower und könnten unseren Flug nach Wien beginnen. Leider wurden wir darüber informiert, dass eine Passagierin ihr Handy womöglich angeschaltet im Gepäckraum dieser Maschine liegen hat. Laut Sicherheitsbestimmungen sind wir deshalb verpflichtet, das Gepäck sofort auszuladen, damit die Dame ihr Handy im Koffer suchen und gegebenenfalls ausschalten kann. Der Abflug wird sich also um eine weitere Stunde verzögern, wir bedauern das sehr. Leider können wir in dieser Zeit weder Snacks noch Getränke reichen – auch das wird von der Flugbehörde verboten. Ein Ausstieg aus dem Flugzeug ist aus Sicherheitsgründen nicht mehr möglich. Bitte entschuldigen Sie die Verzögerung. Könnte nun die Passagierin von der 13 E bitte nach vorne kommen, wir öffnen den Einstieg, damit Sie uns auf das Rollfeld folgen können.«
    Sophie erstarrte innerlich. Wie in Trance erhob sie sich. Der Gang nach vorne kam ihr unendlich lang vor. Der Pilot öffnete die Kabinentür, um zu sehen, wer seinen Abflugplan durcheinanderbrachte. Auch er funkelte sie wütend an. Überhaupt jeder, wirklich jeder im Flugzeug starrte Sophie an. Es war still, kein Mucks zu hören. Und dann begann das Klatschen. Erst klatschte nur ein Mann, dann kamen zwei, drei weitere Passagiere dazu, und plötzlich klatschte das ganze Flugzeug. Jessica lächelte jetzt dünn und zeigte auf den Ausstieg, als sei er das Tor zur Hölle.
    Fünfzig Minuten später war der Koffer gefunden. Selbst die Packer ließen keinen Zweifel daran, was sie von Sophie hielten. Sie sprachen untereinander laut über sie als »die da«, und Sophie wusste, sobald sie außer Hörweite war, würde aus »die da« etwas ganz anderes, Unflätiges werden. Unter den Augen der Packer, der Stewardess und der vielen Passagiere, die sich im Flugzeug langweilten oder ärgerten, weil sie gerade ihren Termin in Wien verpassten, und die nun wütend durch die Bullaugen starrten, öffnete Sophie auf dem warmen Teer des Rollfeldes ihren Koffer. Es war ein windiger Sommertag, ein Seidenhemdchen für die Nacht drohte wegzufliegen, im letzten Moment schnappte sie es mit der Hand. So weit durfte es nicht kommen, dass sie auf dem Rollfeld vor aller Augen ihrer Wäsche nachjagte. Da lag das Smartphone – tatsächlich eingeschaltet. Sie zog es heraus und schaltete es aus. Vollkommen undramatisch.
    Als das Flugzeug dann mit fast zwei Stunden Verspätung endlich in Berlin abhob, zog die alte Dame sich eine nachtblaue Schlafbrille über das Gesicht und schlief ein. Vorher wandte

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