Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
Er überprüfte das Datum, das seine Mutter in ihrem Brief genannt hatte. Er öffnete seinen kleinen, ledergebundenen Taschenkalender, den er als Geschenk zum Studienabschluss erhalten hatte, und nahm einen Stift zur Hand.
Dann zählte er von der Geburt des Babys neun Monate zurück.
Die Spitze seines Stifts brach ab, als er auf einem Tag EndeMärz landete. George versuchte alles, um die Wahrheit nicht zu sehen. Aber da war sie und starrte ihm direkt ins Gesicht.
Das war der Tag – die Nacht – seines Zusammenseins mit Jane. Und neun Monate später und einen Ozean weit entfernt hatte Jane ein Baby zur Welt gebracht.
Danach drehte George ein wenig durch. Er betrank sich sinnlos und stürmte die Zitadelle, die Jacqueline du Ponts Wohnung auf der Avenue Maréchal Foch war und die sie mit drei anderen reichen jungen Damen teilte. Er liebte sie mit einer rauen Intensität, die sie zugleich überraschte und erfreute, was sie ihm auch sagte.
„Ich bin froh, dass es dir gefällt“, sagte er. „Lass uns heiraten.“
Sie lachte und berührte ihn auf eine Weise, die in einigen Gegenden der Welt bestimmt illegal war. „Ich dachte, du würdest mich niemals fragen.“
An Silvester flogen sie mit dem Privatjet der du Ponts nach Monte Carlo. Jackie war eher abenteuerlustig als sentimental, und für sie war durchzubrennen und heimlich zu heiraten das ultimative Abenteuer.
Inmitten der glitzernden Lichter der französischen Riviera fanden sie einen Friedensrichter, der gerne ihr Geld annahm, um sie offiziell zu vermählen. Es gab keine Fanfaren, nur eilig unterzeichnete Dokumente und zurück im Hotel Villa Mondial einen Zimmerservice, der ein Vermögen kostete – Champagner, Austern, Kaviar und mit Blattgold dekorierte Schokopralinen.
Auch wenn Georges Familie sehr wohlhabend war, war es Jackies Geld, das ihnen ein sorgenfreies Leben ermöglichte. Es sorgte für Spaß und Aufregung. George hätte seinen Beruf aufgeben könne, aber er bestand darauf, bei der Zeitung zu bleiben, und er arbeitete härter als je zuvor.
Jackie war auf ihre eigene Art produktiv. In den ersten zehn Jahren ihrer Ehe schenkte sie ihm vier Söhne. Er entdeckte,dass er Babys doch mochte, und überschüttete Pierce, Louis, Gerard und Trevor nur so mit seiner Liebe.
Ihr Leben war wie ein Wirbelwind. George dachte nur selten an zu Hause – die Staaten , wie die Auswanderer in Paris die Vereinigten Staaten nannten. Es bedurfte keinerlei Anstrengung, das Schweigen mit seinem Bruder aufrechtzuerhalten.
Durch ihre Eltern erfuhr George, dass Charles sich freiwillig für den Dienst in Vietnam gemeldet hatte. Er war nun als Offizier und Militärstaatsanwalt in irgendeinem Dschungelposten stationiert.
Als ihre Eltern bei einem Seilbahnunglück in der Schweiz starben, konnte er Charles nicht erreichen, der immer noch in Übersee diente. Also kümmerte George sich um alles. Der Besitz wurde gerecht in zwei Hälften aufgeteilt, und innerhalb weniger Jahre lebten die beiden Brüder so getrennte Leben, dass sie genauso gut Fremde hätten sein können.
26. KAPITEL
C laire hatten nur wenige Zentimeter von dem Glauben getrennt, dass Liebe alles ändern könnte. So mächtig war das, was sie mit Ross gefunden hatte; wie eine seismische Verschiebung. Als sie in seinen Armen gelegen hatte, sicher und beschützt und geliebt, war sie in der Lage gewesen, die Welt um sich herum zu vergessen. Wie hatte sie nur so lange ohne das leben können? Wie konnte überhaupt irgendjemand ohne dieses Gefühl leben?
Nachdem sie sie gefunden hatte, fühlte die Liebe, die sie für Ross empfand, sich so notwendig und natürlich an wie das Atmen.
Eigentlich hatte sie gedacht, sie hätte es schon vor Jahren gemeistert, sich an niemanden zu binden. Sie hatte sich beigebracht, Distanz zu anderen Menschen zu wahren, und akzeptiert, dass es so und nicht anders sein musste. Das hatte prima funktioniert – bis Ross Bellamy in ihrem Leben aufgetaucht war. Er hatte ihre ganze harte Arbeit zunichtegemacht und die Mauer, die sie um ihr Herz herum errichtet hatte, eingerissen.
Und wie eine Närrin hatte sie es zugelassen. Eine Nacht mit Ross hatte sie zu einem anderen Menschen gemacht, sie mit Gefühlen erfüllt, die sie sich nie zuvor getraut hatte zu empfinden. In Ross’ Armen hatte sie auf einer Wolke der Glückseligkeit geschwebt.
Die Welt da draußen war unbarmherzig in Form einer SMS eingedrungen. Claires Blick war auf ihr Handy gefallen, das auf dem Fußboden neben dem Bett lag.
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