Sommer unseres Lebens - Wiggs, S: Sommer unseres Lebens
gut“, rief er. Er schaute die anderen Kinder an. Als sie merkten, dass mit ihm alles in Ordnung war, fingen sie an zu jubeln und zu klatschen.
„Du Wahnsinniger!“, schimpfte Jane und paddelte zu ihm hinüber. „Du hast uns zu Tode erschreckt!“
„Und jetzt sieh mich an!“, rief er. „Ich schwimme.“
Nicht sehr gut, wie sie merkte, aber immerhin. Er schwamm. Er paddelte langsam und umständlich zum Steg zurück. Charles und die anderen Kinder verloren das Interesse und kehrten zu ihrem Spiel zurück. Jane folgte George, und gemeinsam klammerten sie sich an die Leiter, die zum Steg hinaufführte. „Ich bin wirklich stolz auf dich!“, sagte sie. „Ganz ehrlich.“
„Als ich ins Wasser gefallen bin“, flüsterte er, damit ihn niemand anders hören konnte, „bin ich wie ein Stein gesunken. Mir schoss durch den Kopf, dass ich ertrinken könnte, wenn ich aufhören würde, zu kämpfen, und mich einfach in mein Schicksal ergebe. Aber plötzlich wusste ich, dass ich stärker werden und mich selber retten müsste. Und so habe ich angefangen zu schwimmen.“
„George!“ Sie schlang ihre Arme um ihn und gab ihm einen kurzen, nassen Kuss auf die Wange. Sofort wurde ihr bewusst, was sie getan hatte. Sie drückte sich von ihm ab und schwamm in die andere Richtung. Dennoch konnte sie nicht widerstehen, sich umzuschauen und zu gucken, ob er so peinlich berührt war wie sie.
Es sah nicht so aus. Jane wusste, solange sie lebte, würde sie seinen Gesichtsausdruck nicht vergessen.
„Hey, guck mal!“, rief Charles. Er stand mit der Kodak-Kamera in der Hand auf dem Steg.
Und George und Jane grinsten in die Kamera.
„Halte Doctor mal bitte, ja?“ George reichte seinem Bruder das orangefarbene Kätzchen. „Lass sie nicht weglaufen.“
„Sicher.“ Charles drückte das kleine Wesen zärtlich an seine Brust.
Das Kätzchen war Janes Abschiedsgeschenk an die Bellamys. Der Sommer war vorbei, und es war an der Zeit, dass sie in die Stadt zurückkehrten. Janes Vater hatte ihr erlaubt, ihnen eines der Kätzchen zu geben, und natürlich hatte sie sich für Doctor entschieden, die ebenso süß war wie ihre Mutter.
Jane versuchte, sich nicht zu niedergeschlagen zu fühlen, als sie George beobachtete, der seinen Rollstuhl an den Rand des kiesbedeckten Vorplatzes gerollt hatte, wo alle standen und auf den Bus warteten, der sie zum Bahnhof im Ort bringen würde. Er hatte dieses besondere Feuer in seinen Augen, das immer aufflammte, wenn er beim Schach „Schachmatt“ sagte oder sich eine besonders gute Geschichte ausgedacht hatte.
„Was ist los?“, fragte sie.
Er antwortete nicht. Stattdessen zog er die Bremse an seinem Rollstuhl fest und stützte sich mit den Händen auf den Armlehnen ab. Im Verlauf des Sommers waren seine Arme und Hände so braun und stark geworden, dass er sie an Stuart erinnerte, der Heuballen aufheben und herumwerfen konnte, als wögen sie nichts.
Mit vor Konzentration gerunzelter Stirn klappte George die Fußrasten des Rollstuhls hoch und stellte seine Füße auf den Boden.
Jane hielt den Atem an. Alles in ihr drängte danach, zu ihm zu gehen und ihm zu helfen, doch sie widerstand. Das Letzte, was er gebrauchen konnte, war, dass sie sich einmischte oder ihn warnte, kein Risiko einzugehen. Sie schaute zu Charles und sah, dass er sich förmlich ein Loch in die Unterlippe biss.
George erhob sich ein Stück, fiel aber sofort wieder zurück auf den Sitz. Er schaute weder Charles noch Jane an. Sie presste ihre Zähne aufeinander, um sich davon abzuhalten, ihm zu sagen, er solle nichts überstürzen, nicht glauben, er müsse das jetzt tun. Er versuchte es erneut. Und noch einmal und noch einmal.
Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn. Er wischte sich die Hände an der Hose ab. Drückte Hände und Füße fester auf … und drückte sich aus dem Stuhl.
Das Kätzchen miaute protestierend auf, und Jane warf Charles einen schnellen Blick zu. Sofort lockerte der den Griff um das kleine Wesen wieder. George machte einen Schritt nach vorne. Dann noch einen. Er blieb stehen. Sein Gesicht warfeucht und rot von der Anstrengung. Jane ertrug es nicht mehr; sie eilte zu ihm und nahm seinen Arm. Obwohl er zitterte, lächelte George.
„Gut gemacht, George!“, flüsterte sie. „Ich wusste, du kannst es!“
„Ich musste es. Meine Mutter will mich ins Bett stecken und mich für den Rest meines Lebens wie einen Invaliden behandeln. Mein Vater denkt, dass ich in das Kinderkrankenhaus zurückkehren
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