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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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Mutter wirklich eine Prostituierte gewesen ist.
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Da hat er gelacht und gesagt: Das muss der Berger gewesen sein, der Besitzer von der Werkstatt. An den erinnere ich mich noch gut, der ist einfach verrückt und vor allem trinkt er zu viel! Der hat ihr damals die Wohnung vermietet und deine Mutter hat ihm gefallen, aber sie hat ihn mehrmals zurückgewiesen, da ist er sauer gewesen. Dem brauchst du nichts zu glauben, Alexander, deine Mutter ist ganz sicher keine Prostituierte gewesen und hat es auch nicht mit jedem getrieben. Und dann hat er gesagt: Sie ist einfach nur ein unglückliches Mädchen gewesen und ist ganz allein dagestanden.
    Er hat gesagt, dass er den Fall besonders gut im Kopf hat, weil es ihn damals so berührt hat, wie er mich, den Buben, gefunden hat. Wie war das?, habe ich ihn gefragt, aber er wollte das dann gar nicht erzählen, er wollte ablenken. Ich habe ihn noch mal gefragt, wie er mich denn gefunden hat, und dann hat er es mir doch erzählt.
    Der Berger hat bei der Polizei angerufen, weil der Bub, das bin ich gewesen, den ganzen Tag so geschrien hat und ihn der Lärm beim Arbeiten in der Werkstatt nervös gemacht hat, aber die Tür zur Wohnung ist abgesperrt gewesen und niemand hat auf das Klopfen reagiert. Das ist ihm dann doch komisch vorgekommen. Die ist sicher abgehauen, davon hat sie immer geredet!, hat der Berger am Telefon gesagt. Er, der Angermair, ist dann hingefahren.
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Der Berger hat ihm geholfen, die Tür aufzubrechen, und sie haben mich auf dem Boden sitzend gefunden.
    Es ist eigenartig gewesen, wie er es mir erzählt hat, weil er nie gesagt hat »du« oder »dich«, sondern immer nur von »dem Buben« oder von »dem Kind« geredet hat. Vielleicht, oder ich bin mir eigentlich sicher, wollte er nicht, dass es mir zu nahegeht oder dass es mir schlecht geht nachher.
    Er hat gesagt: Der Bub ist da auf dem Boden, in der Mitte vom Raum gesessen und war von oben bis unten angeschissen und ganz ausgekühlt, und geschrien hat er wie am Spieß. Wie ich ihn hochgehoben hab, hat er die Arme ganz fest um meinen Hals gelegt, nicht mal im Krankenhaus wollte er sie runtertun.
    Auf dem Tisch ist ein Zettel gelegen und auf dem ist gestanden: Es tut mir leid. Ich kann nicht anders.

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Therapiegespräch im Jänner 1990
Dr. B. und Martina Winter
    Ob ich glaube, dass alles im Leben einen Sinn hat? Und was es eventuell für einen Sinn hatte, dass der Alexander in unsere Familie gekommen ist?
    Da fällt mir die Anna ein, die vor ein paar Jahren, da war sie fünfzehn oder sechzehn, zu mir gesagt hat, dass sie froh war, wie damals der Alexander zu uns gekommen ist und dann da war, weil vorher hat sie als Älteste viel abbekommen. Und – eigentlich hatte sie recht.
    Wie sie das gemeint hat? Nein, sie haben ihn nicht geschlagen, das meine ich nicht! Na ja, ab und zu hat es schon eine Watschen gegeben. Sie hat damit gemeint, dass er die lästigen Arbeiten machen hat müssen, die sonst niemand machen wollte. Oder die grantigen Bemerkungen oder das ständige Gekeife oder das Dahingeschimpfe, das meiste davon hat er einstecken müssen – und vorher eben sie. Ihren Frust haben sie doch mehr an ihm als an uns ausgelassen, so würde ich das bezeichnen.
    Einmal hat die Anna aus einem Gästezimmer Geld mitgehen lassen, da war sie achtzehn, da hat sie gerade den Matthias kennengelernt und sie wollte sich schöne Unterwäsche und einen Minirock
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kaufen. Sie hat gewusst, sie würden nur den Alexander verdächtigen, und es war richtig traurig, wie einfach die Eltern ticken, denn sie haben wirklich nur ihn verdächtigt. Als ich die Unterwäsche und den Rock gesehen habe, da habe ich die Anna auf den Diebstahl angeredet, da hat sie es zugegeben, und ich habe ihr schwören müssen, dass ich es niemandem verrate.
    Der Alexander hatte eine Funktion in unserer Familie, ganz klar. Ich meine das nicht zynisch, sondern ernst. Er hat viel abgefangen. Irgendwie war er immer so ein Puffer zwischen uns und den Eltern. Wir haben sie wegen ihm mehr lieben können, als wir das ohne ihn hätten können.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. Z. und Alexander Sommer
    Ja, der Angermair hat mir einiges über meine Mutter erzählt und ich habe daheim sofort alles aufgeschrieben, schon im Bus habe ich damit angefangen.
    Ich habe alles aufgeschrieben, weil ich einfach wollte, dass ich nichts vergesse, und ich habe das Gefühl gehabt, dass sie mir näher ist, wenn ich alles aufschreibe, dass sie irgendwie so für mich

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