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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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weggefahren. Nie hat er sich von mir verabschiedet. Oft habe ich es nicht mal mitbekommen, dass er weggewesen ist.
    Wir sind hinter die Werkstatt gegangen. Ich habe ihm meinen Passat gezeigt. Den habe ich mir als Unfallwagen gekauft und selbst repariert. Der Vater hat mit mir nett geratscht. Wie’s mir so geht, ob mir die Arbeit gefällt. Ob ich mit meiner Wohnung da neben der Werkstatt zufrieden bin. Dann hat er mir ein Kuvert in die Hand gedrückt. Hat gesagt, dass er mir den Passat zahlen will. Sozusagen als verspätetes Weihnachtsgeschenk. Ich habe ins Kuvert reingeschaut. Da sind zehntausend Schilling drin gewesen. Ich habe es fast nicht glauben können. Wir haben nie so teure Geschenke bekommen. Mir ist das Ganze immer komischer vorgekommen.
    Wie der Vater schon einsteigen will, kommt auf einmal der Alex mit dem Traktor daher. Mit dem Traktor! Er springt raus und rennt auf uns zu. Schreit den Vater wie wild an. So wild habe ich den Alex nie erlebt! Ich habe mir schon gedacht: Scheiße, was ist heute eigentlich los? Alle sind heute so komisch!
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Der Alex hat geschrien: Du hast meine Mutter umgebracht! Gib’s zu, du hast sie umgebracht in der Nacht! Der Vater hat ihn total blöd angeschaut, so mit offenem Mund. Er hat dem Alex auf die Schulter gegriffen und gesagt: Alexander, bitte, beruhige dich endlich! Aber der Alex hat geschrien: Ich will mich nicht beruhigen! Du hast sie umgebracht! Und du fährst mit mir jetzt gleich zur Kripo und stellst dich selber! Da habe ich mich echt nicht länger zurückhalten können. Ich habe den Alex am Arm gepackt. Habe ihn angeschrien: Du hast echt eine kranke Fantasie! Der Vater hat Scheiße gebaut, aber er ist kein Mörder!
    Der Vater ist weiß im Gesicht gewesen. Hat den Alex noch mal gebeten, dass er sich beruhigt. Der Alex hat die Beifahrertür aufgerissen und hat gesagt: Los, steig ein! Wir fahren jetzt gleich zur Kripo nach Innsbruck! Der Vater hat zu mir gesagt: Manu, geh rauf in die Wohnung, bitte. Ich werde ihn schon beruhigen und heimbringen.
    Der Vater hat den Alex am Arm genommen. Ist mit ihm ein paar Meter weggegangen und hat mit ihm geredet. Ich habe nicht genau verstanden, was er gesagt hat. Habe nur immer wieder die Wörter »beruhigen« und »Wahrheit« gehört. Mir ist plötzlich was eingefallen. Ich habe so getan, als würde ich zur Haustür gehen. Aber wie ich auf der anderen Seite vom Jeep gewesen bin, habe ich mich
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geduckt und ganz leise die Autotür aufgemacht und bin reingeschlüpft. Von der Rückbank aus bin ich in den Kofferraum geklettert. Die beiden haben mich nicht gesehen. Die haben sich angeschrien. Der Vater hat den Alex geschüttelt. Außerdem hat’s fest geschneit. Ich bin neugierig gewesen. Ich wollte unbedingt wissen, was sie während der Fahrt so reden. Ob was Wahres an dem Gefasel vom Alex dran ist. Im Kofferraum habe ich die zwei großen Reisetaschen gesehen. Ich habe mir noch gedacht: Wieso braucht denn der Vater so viel Zeug bei einer Messe?
    Der Alex reißt sich vom Vater los und schreit, dann fahr ich eben allein zur Kripo! Er rennt zur Fahrerseite vom Jeep. Steigt ein. Der Vater rennt ihm nach. Er drängt den Alex rüber und steigt auch ein. Er hat sofort die Innenverriegelung betätigt. Der Alex hat nicht mehr raus können. Ich denk mir noch hinten in meinem Versteck: Scheiße, was wird das jetzt?
    Dann sind wir losgefahren. Der Alex auf dem Beifahrersitz und ich hinten im Kofferraum – unter dem ganzen Zeug. Der Alex hat auch gleich losgelegt: Willst du mich jetzt umbringen so wie meine Mutter? Und der Vater hat gesagt: Bitte, Alexander, glaube mir, ich habe deine Mutter nicht umgebracht! Und ich werde dich nicht umbringen!
    Er hat auch noch leise gesagt: Es tut mir leid, dass es so weit gekommen ist. Aber ich brauche jetzt einfach
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keinen Wirbel und schon gar keine Polizei. Ich lasse mir meine Pläne von dir nicht durchkreuzen und jetzt beruhig dich endlich! So ähnlich jedenfalls.
    Der Alex hat sich aber nicht beruhigt. Er hat die ganze Zeit nur geschrien: Was ist mit meiner Mutter passiert in der Nacht? Immer das Gleiche: Was ist mit meiner Mutter passiert in der Nacht? Bis dahin habe ich gar nicht gewusst, dass er auch laut sein kann.
    Der Vater hat ihm dann wirklich erzählt von der Nacht im Mai 73. Die Frau hat ihn erpresst. Immer mehr Geld hat sie verlangt, damit sie ihn dem Jugendamt und seiner Familie nicht verrät. Weil seit Kurzem hat sie seinen richtigen Namen gekannt. Sie hat gewusst, dass er eine

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