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Sommer wie Winter

Sommer wie Winter

Titel: Sommer wie Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith W. Taschler
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anerkennen wird und sie mich adoptieren wollen. Aus dem Sommer wird jetzt ein Winter, habe ich gesagt, ich wollte witzig sein, habe aber dann selber nicht lachen können.
    Viel mehr haben wir nicht geredet, der Angermair ist irgendwie so nachdenklich und mit den Gedanken woanders gewesen und auch ruhig. Er hat es auf einmal eilig gehabt und sich von mir verabschiedet und ich bin mit ihm zu seinem Auto gegangen. Dabei hat er mich gefragt, ob ich nicht zu ihm ziehen möchte, nur vorübergehend, bis ich ein eigenes Zimmer in Innsbruck gefunden habe, ich sei ja jetzt neunzehn und großjährig, er könnte mich morgen mit meinen Sachen abholen. Ich bin
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ganz überrascht gewesen und habe gesagt, dass ich es mir überlegen muss und dass ich ihn anrufen werde.
    Er ist eingestiegen und hat die Fensterscheibe runtergekurbelt und gesagt: Lass die Sache jetzt ruhen, Alexander, glaub mir, es ist das Beste. Und pass auf dich auf! Dann ist er weggefahren.
    Am Abend haben wir dann den schweren Autounfall gehabt und die Manu hat mir das Leben gerettet. Seitdem ist der Vater verschwunden und die Polizei hat keine Spur von ihm. Keiner von uns hat gemerkt, dass er sein Verschwinden schon länger geplant hat und dass er dafür heimlich Geld abgezweigt hat. Das kränkt die Mutter am meisten, dass er abgehaut ist und sich vorher noch gut versorgt hat, während sie hier mit der Hotelpleite zurechtkommen muss, von der sie bis jetzt keine Ahnung gehabt hat. Die Sache mit meiner richtigen Mutter ist für sie eine Nebensache.
    Jahrelang habe ich mir meine Mutter in Neuseeland vorgestellt, in einem schönen Haus am Strand, wie sie auf der Terrasse sitzt und Tee trinkt. Jetzt stelle ich mir den Vater auf der gleichen Terrasse vor, wie er seinen Brandy trinkt und grinst.

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Therapiegespräch im Februar 1990
Dr. B. und Anna Winter
    Ja, im letzten März ist eine Wiener Familie da gewesen und hat eine Woche Urlaub bei uns auf dem Hof gemacht. Die älteste Tochter hat sich richtig an den Alexander rangeschmissen. Sie hat, glaube ich, Silke geheißen und sie ist achtzehn oder neunzehn gewesen und eine richtige Zicke. Normalerweise merke ich mir die Gäste nicht so genau, weil ich mehr im Hotel bin als daheim, aber die habe ich mir gemerkt, weil sie ständig nur beim Alexander im Stall oder in der Scheune gestanden ist und seine Arbeit so romantisch und erdverbunden gefunden hat. Ja, genau das hat sie gesagt: romantisch und erdverbunden. Aber da ist sie nicht die Erste gewesen, die so was gesagt hat, viele Gäste sagen so was Ähnliches über unser Leben auf dem Bauernhof.
    Man hat dem Alexander angemerkt, dass ihm ihr Nachlaufen gefällt. Ja, er hat sich ordentlicher als sonst hergerichtet und sich am Abend zu ihr in die Stube gehockt. Einmal hat er sich überreden lassen und ist mit ihr kegeln gegangen. Dabei hat sie mit ihm herumgeschmust, das hat mir nachher eine Freundin erzählt. Die Manu hat die Wienerin patzig gefragt: Was gefällt dir denn so an meinem
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Bruder? Und da hat sie mit ihrem blöden, hochnäsigen Wiener Dialekt gesagt: Er ist ja gar nicht dein Bruder! Das hat sie nicht vom Alexander gewusst, sondern von der Mutter, der Alexander hat das nie jemandem erzählt, aber die Mutter hat es immer gern rumposaunt. Die meisten Gäste haben sich nur deswegen für ihn interessiert.
    Ja, gegen Ende der Woche hat die Mutter die zwei im Heu erwischt, ob viel passiert ist, wissen wir nicht, der Alexander würde nie drüber reden. Eine schön karierte Picknickdecke ist ausgebreitet gewesen und da sind sie halb nackt draufgelegen, in einer Schüssel waren Weintrauben, und eine Champagnerflasche und zwei Sektgläser sind da gestanden. So was Kitschiges habe ich noch nie gehört! Picknickdecke im Heu mit Weintrauben und Champagner! Genau so stellen sich die Stadtler das Landleben vor. Die Mutter hat den beiden Beine gemacht und da hat diese Silke auch noch gemeckert.
    Ja, beim Abschied hat sie sogar Tränen gedrückt und gesagt, dass sie im Juni wiederkommen will und dass er ihr schreiben soll. Im Juni will ich dann mit dir auf dem Kirchtagsfest tanzen, hat sie gesagt. Die Manu hat die Augen verdreht und ich und die Mutter haben lachen müssen. Der Alexander hat wirklich einen Brief von ihr bekommen, einen einzigen, wir haben ihn alle tagelang sekkiert deswegen. Es ist überhaupt der erste Brief gewesen, den er in
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seinem Leben bekommen hat. Er hat ihr auch Briefe geschrieben, wie viele es gewesen sind, das weiß ich nicht, aber mehr

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