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Sommerbuch

Sommerbuch

Titel: Sommerbuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tove Jansson
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ihre Innenseite nach außen gedreht hatten mit verbogenen Drähten, und quer über allem lag ein riesiger schwerer Balken, der schwarz von Spritzöl war. Flache Borkenstückchen und Splitter von alten Stürmen wogten im Wasser vor dem Eisrand hin und her, wurden durch den schwachen Seegang hinausgesogen und wieder hineingebracht. Gleich würde die Sonne aufgehen. Den Nebel, der über dem Meer lag, durchtränkte bereits das Licht. Die ganze Zeit über gagelten die Eisenten, entfernt und melodisch.
    »Sie vermehren sich gerade«, sagte Sophia.
    Die Sonne ging auf, einen Augenblick lang glühte der Nebel, dann war er plötzlich verschwunden. Draußen im Wasser, auf einer flachen Schäre, lag eine Eisente. Sie war naß und tot und sah wie eine ausgewrungene Plastiktüte aus. Sophia erklärte, es sei eine alte Krähe, die Großmutter glaubte ihr aber nicht.
    »Aber es ist doch Frühling«, sagte Sophia. »Jetzt sterben sie nicht, sie sind ganz neu und haben sich gerade verheiratet. Das hast du doch erzählt .«
    »Tja«, sagte die Großmutter. »Die ist aber trotzdem jetzt gestorben .«
    »Wie denn ?« rief Sophia. Sie war sehr böse.
    »Aus unglücklicher Liebe«, erklärte ihre Großmutter. »Der Vogel hat die ganze Nacht lang für seine Braut gesungen und gegagelt , und dann ist ein anderer gekommen und hat sie ihm weggenommen, und da hat er den Kopf unter Wasser gesteckt und ist weggetrieben .«
    »Das ist nicht wahr«, schrie Sophia und begann zu weinen. »Eisenten können nicht ertrinken, erzähl richtig !«
    Nun erzählte die Großmutter, daß der Vogel mit seinem Kopf gegen einen Stein gestoßen sei. Er hat ganz einfach so gesungen und gegagelt , so maßlos, daß er auf nichts mehr aufgepaßt hatte. Und so passierte es eben, gerade als er am glücklichsten war.
    »Das ist schon besser«, sagte Sophia. »Müßten wir die Eisente nicht begraben ?«
    »Das ist unnötig«, antwortete die Großmutter. »Es gibt bald Hochwasser, und dann begräbt sie sich selbst. Seevögel werden genau wie Seeleute begraben .«
    Sie gingen weiter und redeten über Seeleute und wie sie begraben werden, und die Eisenten sangen zwei- und dreistimmig und immer weiter weg. Die kleine Landenge zur Inselspitze hin hatte sich durch die Winterstürme völlig verändert. Dort hatte es immer nur Steine gegeben, aber jetzt war das ganze Ufer ein Sandstrand.
    »Man müßte ihn schützen«, sagte die Großmutter und stocherte mit ihrem Stock im Sand herum. »Wenn das Wasser steigt und der Wind von Norden kommt, verschwindet alles wieder .«
    Sie legte sich der Länge nach in einen Haufen von weißgewordenem Schilf und schaute in den Himmel. Sophia legte sich daneben. Es wurde immer wärmer, und nach einer langen Weile hörten sie das eigentümlich kühle, gleichsam abgeschirmte Geräusch von Zugvögeln, die sich auf der Flucht befanden. Der Vogelzug führte über die Insel nach Nordosten.
    »Und was machen wir jetzt ?« fragte Sophia.
    Ihre Großmutter schlug vor, um die Inselspitze herumzugehen und nachzusehen, was dort angeschwemmt war.
    »Und bist du sicher, daß du dich nicht langweilen wirst ?« fragte Sophia.
    »Ganz bestimmt nicht«, sagte die Großmutter.
    Sie drehte sich auf die Seite und legte den Arm über den Kopf. Zwischen dem Pulloverärmel und dem Hut und dem weißen Schilf konnte sie ein Dreieck aus Himmel, Meer und Sand sehen, ein ganzes, kleines Dreieck. Nicht weit von ihr stand ein trockenes Schilfrohr im Sand, das zwischen seinen zackigen Blättern eine Flaumfeder von einem Seevogel hielt. Sie betrachtete aufmerksam die Konstruktion der Feder, den geraden, weißen Stab in der Mitte und darum herum die Daune, blaßbraun und leichter als Luft, dann dunkler werdend und zur Spitze hin glänzend. Mit einer kleinen frechen Kurve hörte es oben auf. Die Flaumfeder bewegte sich durch einen Luftzug, den die Großmutter nicht wahrnehmen konnte. Sie machte sich klar, daß sich das Rohr und die Flaumfeder genau in dem Abstand befanden, der für ihre Augen paßte. Sie überlegte, ob die Feder jetzt im Frühling an dem Rohr hängengeblieben war, vielleicht in der Nacht, oder ob sie wohl den ganzen Winter dort gehangen hatte. Sie betrachtete die kleine runde Vertiefung im Sand am Fuß des Halmes und die kleine Schlinge aus Seegras, die sich um den Halm geringelt hatte. Gleich daneben lag ein Stück Borke. Wenn man es lange betrachtete, wuchs es zu einem riesigen und sehr alten Berg. Oben hatte er Krater und Höhlen, die wie große

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