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Sommerflimmern (German Edition)

Sommerflimmern (German Edition)

Titel: Sommerflimmern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mina Krämer , Sophie Berger
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können.
    Die Stimme meines Vaters riss mich aus meinen Gedanken.
    »Die Polizei hat angerufen und mir mitgeteilt, dass meine Tochter ins Krankenhaus eingeliefert worden sei«, sagte Ben. »Sie äußerten den Verdacht, der Mann ihrer Mutter hätte sie so zugerichtet, obwohl Anna das bestritten hat.«
    Die Bullen hatten ihr ihre Lügen nicht abgenommen.
    »Und?«, krächzte ich.
    Ben zog die schwarzen Brauen über ebenso marineblauen Augen wie meinen zusammen. »Was, und?«
    »Und, was machst du hier?«
    »Habe ich dir doch gesagt. Es hieß, du seist verletzt«, wiederholte er verwirrt.
    Mein raues Lachen klang wie eine alte Maschine, kurz bevor sie ihren Geist aufgibt. »Und wo warst du die letzten acht Male?«
    Seine Erschütterung traf mich deshalb so hart, weil er sich bisher nicht darum gekümmert hatte, was mit mir passierte. Ben holte tief Luft, sein gebräuntes Gesicht wurde aschfahl und seine Stimme klang vor Wut gepresst: »Warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich hätte dir geholfen. Remy, ich hätte …«
    Ich lachte wieder und schüttelte den Kopf. Er gab mir die Schuld! »Genau. Du hättest. Wieso gehst du nicht zurück zu deiner Frau und deiner perfekten Familie? Da kannst du dir dann wieder einreden, was für ein guter Vater du bist, wenn du den nächsten Unterhaltsscheck unterschreibst.«
    Ich blendete ihn aus, indem ich die Augen schloss, so wie ich es bei Anna auch getan hatte. Es war einfach zu viel. Das Auftauchen meines Vaters, meine Mutter und Dean, meine unberechenbaren Fähigkeiten … und die nagende Angst davor, wie Dean sich rächen würde.
    Dann sagte mein Vater: »Ich nehme dich mit. Ab sofort wohnst du bei mir.«
    Zwei Tage darauf blies ein schneidend kalter Märzwind durch meinen dünnen Mantel und löste mir das Haar aus dem Haargummi, als ich mich aus dem Haus meines Vaters schlich. Ich machte mich zu dem verlassenen Strand in der Nähe des Bootshafens am Ende der Straße auf. Geschmolzener Schnee vermischte sich mit dem Sand und Schmutz, sodass Pfützen aus wässrigem Matsch entstanden. Steine und zerbrochene Muschelschalen lagen über den Strand verstreut, und ich bahnte mir meinen Weg hin zu einem verwitterten Felsblock, auf den ich mich setzte und ein einzelnes Segelboot dabei beobachtete, wie es über die Wellen flog.
    Beim Anblick des Waldes mit seinen nackten Baumdamen, die ohne ihre Herbstkleider schlotterten, des blauen Wassers im Hafen und des riesigen Morgenhimmels verrauchte mein Zorn. Bei meinem Vater hatte sich das Gewissen gemeldet. Anna hatte geweint, als ihr Ben sagte, er würde mich mitnehmen, zum Teufel mit der Sorgerechtsvereinbarung. Mich hatte er nicht gefragt, sondern den großen Macker markiert, bis ich mich unvermittelt in einem Flugzeug nach sonst wo in Maine wiederfand.
    Was ich wollte, kümmerte niemanden. Meine Gedanken kreisten schon so lange einzig und allein darum, wie ich Dean überlebte, dass ich mir nicht sicher war, wie meine Antwort ausgefallen wäre. Es gab drei Möglichkeiten: Ich konnte aufgeben und Dean gewinnen lassen; ihn davon überzeugen, dass ich nichts wert war. Oder ich konnte wegrennen und auf eigene Faust versuchen durchzukommen. Mit meinen Ersparnissen würde ich es schaffen, in einem billigen Hotel eine Woche Freiheit zu genießen, aber das war’s dann auch schon. Die letzte Möglichkeit bestand darin, die Hilfe meines Vaters anzunehmen. Vielleicht unterschrieb mir Ben ja eine Volljährigkeitserklärung.
    Sollte ich hierbleiben, musste ich aufpassen, dass niemand von meinen freakigen Fähigkeiten erfuhr. Ich musste meine Wunden also in Ruhe lassen, schließlich würde es den anderen auffallen, wenn meine Blutergüsse mir nichts, dir nichts verschwanden. Dennoch musste ich wissen, ob meine Selbstheilungskräfte wieder funktionierten. Menschenmengen konnten tödlich sein, wenn Fremde neben mir an etwas litten, das ich nicht heilen konnte. Mitunter übermannten mich ihre Schmerzen, sosehr ich mich auch darauf konzentrierte, sie abzublocken.
    Damit mein Geheimnis nicht aufflog, probierte ich es an einer Verletzung, die man nicht sah: an einer meiner gebrochenen Rippen. Wie schon viele Male zuvor, stellte ich mir die gebrochene Rippe vor und malte mir aus, wie sie heilte. Als der Knochen zusammenwuchs, spürte ich seitlich ein scharfes Stechen und ich schnappte nach Luft. Doch dann ließ der Schmerz nach und ich konnte wieder freier atmen. Erleichtert streckte ich mein Gesicht der Sonne entgegen.
    Ein Kameraauslöser

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