Sommergayflüster
Geschlecht wussten, konnte er ihnen den wahren Grund für seine geistige Abwesenheit jedoch nicht sagen. An den Abenden hatte er stundenlang wach im Bett gelegen, ohne einschlafen zu können. Das Gespräch mit Jamiel war immer wieder vor seinem geistigen Auge abgelaufen, und er hatte sich ausgemalt, wie ihr gemeinsamer Ausflug wohl verlaufen würde. Andauernd brannte die Frage in seinem Kopf, ob Jamiel vielleicht auch schwul sei. Und wenn ja, ob sich zwischen ihnen etwas entwickeln könne.
„Guten Morgen, Jamiel. Da bin ich!“ Mit einem gut gelaunten Lächeln begrüßte er Jamiel, als dieser die Tür öffnete.
„Guten Morgen, Alex. Schön, dass du da bist. Komm kurz rein.“
Jamiel hatte lange darüber nachgedacht, ob es angebracht war, mit Alex wegzufahren und einen Tag gemeinsam zu verbringen. Er war sich nicht sicher, ob er ein solch freundschaftliches Verhältnis mit dem reichen Jungen eingehen konnte – ob er es durfte! Alex lebte in einer für ihn völlig anderen Welt. Dessen Familie zählte zu den reichsten der Gegend, und Alex hatte zweifellos alles, was er sich wünschte. Er würde sicher zahlreiche Freunde aus seinen Kreisen haben und sich das Leben auf jede nur erdenkliche Art versüßen. Bei der Vorstellung, als armer Junge aus der Unterschicht mit dabei zu sein, fühlte er sich nicht besonders wohl. Er konnte mit dem Leben, dem Luxus dieser Leute nicht konkurrieren, und sein Stolz verbot es ihm, Freunde oder Bekannte deswegen auszunutzen, um sich Vorteile zu verschaffen.
Gestern hatte er mit seiner Mutter darüber gesprochen, ihren Rat gesucht, ob er die Einladung wirklich annehmen solle. Doch sie sah ebenfalls kein Problem darin, solange er sich an seine Prinzipen hielt und den Kontakt zu Alexander nicht ausnutzte.
Schließlich hatte er sich dazu entschlossen, den Tag auf sich zukommen zu lassen. Wenn Alex wirklich so war, wie er sich bei ihrem Gespräch gezeigt hatte, konnte sich vielleicht eine Freundschaft zwischen ihnen entwickeln.
„Ich bin gleich fertig, dann können wir gehen.“
„Okay, keinen Stress. Vergiss nicht, Badesachen einzupacken, dann können wir schwimmen gehen.“
Jamiel nickte und verschwand in seinem Zimmer. Wenige Minuten später kam er zurück. „So, fertig. Meinetwegen können wir los.“
„Perfekt. Dann nichts wie raus hier!“, grinste Alex voller Vorfreude auf die kommenden Stunden. Er hatte seinen Wagen direkt vor der Tür geparkt. Dort nahm er Jamiels Tasche und verstaute sie im Kofferraum. Kurz darauf stiegen sie ein, und Alex fuhr los.
„Wie war die Woche bei uns?“, fragte er, um eine Unterhaltung mit Jamiel zu beginnen.
„Gut. Viel zu tun, aber es hat Spaß gemacht. Ein traumhaftes Gelände.“
Alex schnaubte verächtlich aus. „Ja, wie gesagt, es ist groß und ganz nett, aber auf Dauer auch langweilig. Zumindest, wenn man die meiste Zeit dort allein verbringt. Oder noch schlimmer: mit seinen Eltern!“
Alex sah Jamiel an und grinste, dieser lächelte zurück.
„Du musst doch nicht dauernd da sein und die Zeit mit deinen Eltern verbringen. Gehst du nicht zu deinen Freunden oder aus? Oder ihr trefft euch bei dir?“
„Nein. Ich will mich nicht zu Hause mit Freunden treffen. Die sehen nicht mehr als den Reichtum und verspüren Neid. Außerdem habe ich nicht so viele Freunde.“
„Aha. Warum das?“
„Ich weiß nicht. Na ja, vielleicht weil ich es leid bin, immer nur als der reiche Sohn gesehen zu werden. Viele Menschen interessieren sich nicht für mich. Ich meine, nicht für mich als Person, sondern sie sehen nur das Materielle und welche Vorteile sie sich durch eine Freundschaft mit mir verschaffen können. Manchmal wünsche ich mir, wir wären ganz normale Leute, ohne diesen ganzen Luxus und die Publicity.“
Diesmal grinste Jamiel. „Deine Probleme hätte ich gerne.“
„Und ich deine.“
„Glaub mir, Alex, damit wärst du nicht glücklich. Es ist nicht einfach, wenn man jeden Cent dreimal umdrehen muss, bevor man ihn ausgibt.“
Alex nickte verständnisvoll.
„Was treibst du denn in deiner Freizeit so?“, wechselte er hastig das Thema.
„Nicht wirklich viel, na ja, nichts Besonderes. Ich helfe meiner Mutter im Haus, muss mich auf die Schule konzentrieren, und hin und wieder hänge ich einfach nur mit Freunden rum. Und du?“
„Ich spiele Tennis. Ich liebe diesen Sport. Schwimmen ist auch ganz okay. Ansonsten gehe ich oft an einen der Seen, um meine Ruhe zu haben. Es ist befreiend, das Wasser und die Wellen zu beobachten.
Weitere Kostenlose Bücher