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Sommerhaus mit Swimmingpool

Sommerhaus mit Swimmingpool

Titel: Sommerhaus mit Swimmingpool Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herman Koch , Pößneck GGP Media GmbH
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hören können. Uns stockte der Atem.
    »Ich möchte für dieses moralische Dilemma keine Lösungen vorschlagen«, sagte Herzl. »Ich wünsche mir nur, dass Sie erst nachdenken, bevor Sie die moralischen Grundsätze der heutigen Zeit ohne Weiteres als die einzig richtigen akzeptieren. Deshalb zum Schluss ein kleines Beispiel, über das Sie sich bitte bis zur nächsten Woche Gedanken machen.«
    Dass ich inzwischen schon ziemlich lange untätig vor dem Behandlungstisch stand, kam dem Komiker sicher komisch vor. Ich hatte mir die Hände gewaschen und die Gummihandschuhe angezogen. Es wurde Zeit für die Untersuchung. Die Prostata musste durch den Anus touchiert werden. Doch die Erinnerungen waren nicht mehr aufzuhalten. Um Zeit zu gewinnen, legte ich schon mal eine Hand auf eine behaarte Pobacke des Komikers.
    »Wir halten einen Erwachsenen, der einem Kind Sex aufdrängt, für nicht normal«, hatte Professor Aaron Herzl gesagt. »Für abartig. So jemand muss behandelt werden. Und da fängt das Dilemma an. Denken Sie darüber nach. Welche Behandlung ist erforderlich? Statistisch gesehen fühlen sich von den hier Anwesenden einundneunzig Prozent zum anderen Geschlecht hingezogen, neun Prozent zum gleichen Geschlecht. Weniger als ein Prozent hat eine sexuelle Vorliebe für Kinder. Ich darf also glücklicherweise davon ausgehen, dass so jemand hier mit großer Wahrscheinlichkeit nicht zugegen ist.«
    Gelächter von den Bänken, ein etwas unbehagliches Gelächter, das sich anstrengte, erleichtert zu klingen.
    »Aber drehen wir die Sache einmal um. Stellen wir uns vor, unsere eigene sexuelle Vorliebe sei verboten. Man verhaftet uns, weil wir Geschlechtsverkehr mit einer erwachsenen Person des anderen Geschlechts hatten. Man verurteilt uns zu einigen Jahren Gefängnis oder weist uns in eine geschlossene Anstalt ein. Und wir führen in dieser Zeit Gespräche mit einem Psychologen oder Psychiater, den wir davon überzeugen müssen, dass wir aktiv zu unserer Heilung beitragen wollen.Damit er einen Bericht schreibt, in dem steht, dass wir nicht länger eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Dass wir es uns abgewöhnt haben, uns zu einer Frau oder einem Mann hingezogen zu fühlen. Aber natürlich wissen wir es besser. Wir wissen, dass so etwas überhaupt nicht möglich ist. Dass man uns nicht davon ›heilen‹ kann. Wir wollen nur möglichst schnell wieder raus, um uns wieder an einer Frau oder einem Mann zu vergreifen.«
    Ich bewegte meine Hand auf dem Hinterteil des Komikers ein paar Zentimeter. An dieser Stelle hatte meine Erinnerung an die Vorlesung meines Professors eine Lücke, aber er hatte bestimmt von der ›Heilung‹ von Kinderschändern gesprochen. Ich konnte mich nur noch an den Topf mit den Muscheln erinnern.
    »Hier also das Beispiel, von dem ich gesprochen habe«, hatte Herzl zum Schluss gesagt. »Es steht ein Topf mit Miesmuscheln auf dem Tisch. Herrliche, schmackhafte, gesunde Muscheln. Wir haben gelernt, dass wir die Muscheln, die sich nach dem Kochen nicht geöffnet haben, nicht essen dürfen. Weil sie uns krank machen. Diese Muscheln sind selber krank, manche sind sogar schon tot. Brechen wir sie trotzdem auf und verspeisen sie? Lassen wir sie zwei Jahre lang mit einem Gefängnispsychologen Gespräche führen, um sie zu guter Letzt doch noch in den Mund zu stecken, weil der Gefängnispsychologe uns versichert hat, dass sie wieder genießbar sind? Oder werfen wir sie weg? Wir sehen uns in einer Woche wieder.«
    Der Komiker drehte mir den Kopf zu. Ich sah den erschrockenen Blick in seinen Augen.
    »Marc«, sagte er. »Ist was?«
    Ich versuchte zu grinsen, aber es tat irgendwie weh. Tief im Rachen klickte es. »Was soll sein?«, antwortete ich.
    Ein behaarter Männerhintern war in der Tat nicht mein Fall. Ich reagierte darauf mit Abneigung, wie auf einen TellerGammelfleisch, bei dessen Anblick sich der Magen umdreht: Finger weg! , sagt er. Ich war ›normal‹, wie man so sagt. Ich dachte an die Frauen, nicht nur an Caroline oder Judith, an alle Frauen. Das ist die Biologie, hatte uns Professor Herzl gelehrt. Ein potenter Mann, der sein Begehren nach möglichst vielen Frauen unterdrückt, ist wie ein Autofahrer, der gleichzeitig das Gas- und Bremspedal tritt. Zuerst riecht das Auto nach verbranntem Gummi, schließlich bleibt es stehen oder fängt Feuer. Die Biologie diktiert uns, dass wir möglichst viele Frauen befruchten. Herzls Gedankenexperiment. Könnte ich, wenn meine sexuelle Vorliebe von der

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