Sommerkind
ihnen mit”, sagte Daria zu Andy. “Und du bringst bitte Shelly ins Sea Shanty.”
“Nein”, widersprach Shelly. “Ich bleibe bei Andy.”
Daria sah Andy an. “Was läuft hier eigentlich?”
“Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber zu sprechen”, erwiderte er. Er wollte sie zum Rettungswagen schieben, doch Daria wich nicht von der Stelle. “Sag es mir”, verlangte sie.
“Shelly und ich sind seit mehr als zwei Jahren zusammen”, gestand Andy. “Tut mir leid, dass ich dir nicht früher davon erzählt habe. Sie hatte Angst, du würdest uns auseinanderbringen. Okay? Und jetzt steig in den Krankenwagen.”
Verdutzt wich Daria zurück.
“Daria?”, rief Mike aus dem Krankenraum. “Wir müssen fahren!”
Nach einem weiteren Blick auf ihre Schwester drehte sie sich um und lief zum wartenden Rettungswagen.
41. KAPITEL
D aria verließ das Behandlungszimmer der fast leeren Notaufnahme. Rory, der auf einem Stuhl im Korridor gewartet hatte, stand auf, als er sie sah.
“Sie werden es schaffen”, sagte Daria, während sie auf ihn zuging.
“Beide?”
Sie nickte. Im Rettungswagen hatte die Frau ganz und gar keinen guten Eindruck gemacht, doch nach einer zweistündigen Behandlung im Schockraum atmete sie wieder selbstständig und hatte bereits nach ihrem Sohn gefragt.
“Gott sei Dank”, meinte Rory und nahm sie fest in die Arme. Daria schloss die Augen. Die Wange an seine Schulter gelehnt, verharrte sie für einen Moment, bevor sie sich aus seiner Umarmung löste.
“Du bist klitschnass.” Sie rubbelte über sein feuchtes T-Shirt.
“Das sagt die Richtige. Sieh dich nur an.”
Die nassen Kleider klebten an ihrem Körper, doch bis zu diesem Augenblick hatte sie es nicht wahrgenommen. Nun fror sie auf einmal.
“Wir können hier nichts mehr tun”, sagte sie. “Woody, der Sanitäter, hat angeboten, uns nach Hause zu fahren.”
Sie setzte sich auf den Beifahrersitz von Woodys Wagen und bemerkte kaum, dass der Sturm sie auf den verlassenen Straßen hin und her schob. Schilder und Zweige flogen gegen die Autoscheiben, aber Daria zwinkerte noch nicht einmal, als sie direkt vor ihren Augen auf das Glas prallten. Die beiden Männer unterhielten sich über den Sturm und die Notaufnahme. Doch selbst wenn Daria es mitbekommen hätte, interessiert hätte es sie in dem Moment nicht. Sie fühlte sich zittrig, irgendwie sonderbar. Sie hatte das, was Chloe ihnen früher am Abend gebeichtet hatte, noch nicht verdaut – dieses Gespräch erschien ihr vielmehr wie ein verblasster Traum. Und auch Shellys und Andys Enthüllung lag ihr noch wie ein Stein im Magen. Sie kannte ihre Schwestern gar nicht richtig.
Woody ließ sie vor dem Sea Shanty aussteigen. Mindestens zwei der Fliegengitter an der Veranda waren kaputt und zappelten im Wind wie gefangene Vögel.
“Wenn wir schon mal draußen sind, sehe ich lieber mal im Poll-Rory nach dem Rechten”, sprach Rory ihr laut ins Ohr.
Daria starrte zur Haustür des Sea Shanty. Sie wollte da jetzt nicht hineingehen, sie war nicht in der Lage, Chloe – falls sie auf sein sollte – von den vergangenen Stunden zu erzählen. “Ich komme mit”, sagte sie deshalb.
Rory nickte. Er legte den Arm um sie, und gemeinsam kämpften sie sich zu seinem Cottage vor.
Die Dunkelheit im Poll-Rory war verwirrend, und das Haus ächzte unter dem pfeifenden Wind. Als Daria vor Kälte bibbernd im Wohnzimmer stand, fühlte sie sich verloren. Der Sturm hatte kalte Luft mitgebracht, und Daria fror in ihren nassen Kleidern. Ihr verletzter Finger pochte. Rory wollte das Licht einschalten, doch natürlich gab es immer noch keinen Strom.
Mit der Taschenlampe leuchtete er einen Schrank an der Rückseite des Zimmers an. “Da drin steht eine Sturmlampe”, sagte er. “Und in der obersten Küchenschublade liegen Streichhölzer. Am besten, du kümmerst dich ums Licht und ich besorge uns was Trockenes zum Anziehen.”
Er verschwand in einem der beiden Schlafzimmer, und Daria fand im schwachen gelben Schein ihrer Taschenlampe die Sturmlaterne. Sie kontrollierte den Ölstand und zündete den Docht an. Gleich darauf war Rory zurück. Er drückte ihr ein Bündel weichen Stoff in die Hand und zeigte auf das andere Schlafzimmer. “Du kannst dich da drin umziehen. Handtücher sind im Bad.”
Die nassen Klamotten klebten wie eine dünne Schicht Mörtel an ihrem Körper. Sie schälte sich aus ihnen heraus und hängte sie samt Unterwäsche über die Duschkabine. Rory hatte ihr eines seiner
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