Sommerkind
der Brust. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was es ihr bedeutet hatte. Er konnte das alles einfach so wegschieben. Sie setzte sich hin, zog Sweatshirt und Jogginghose an und spürte seinen Blick auf ihrem Körper, seine Hand auf ihrem Rücken. Ob er die Kälte spürte, die durch ihre Adern floss?
“Tja, Rory”, sagte sie kühl und stand auf. “Für
dich
mag das vielleicht nicht mehr als die Reaktion auf die starken Emotionen einer Nacht gewesen sein. Aber für mich war es viel mehr. Ich
liebe
dich. Hast du das immer noch nicht kapiert?” Ohne auf seine Antwort zu warten, drehte sie sich um und stürmte aus dem Cottage. Und so schnell der Sturm es zuließ, rannte sie nach Hause.
42. KAPITEL
G race blickte so angestrengt aus dem Fenster des Motelzimmers, dass ihre Augen schmerzten. Wo war Rory? Und wo
Shelly?
Sie war sicher, den Namen des Motels, in dem Rory und die anderen während des Sturms Unterschlupf suchen wollten, richtig verstanden zu haben. Sie hatte Namen und Telefonnummer extra wiederholt. Jedem Auto, das auf den Parkplatz des Motels einbog, folgte sie mit hoffnungsvollem Blick. Hatte sie sie vielleicht verpasst? Machten sie es sich womöglich schon in einem anderen Zimmer auf ihrem Flur gemütlich? Liebend gern hätte sie die Nummer des Empfangs gewählt und gefragt, ob Rory Taylor schon eingecheckt hatte, doch es ging nicht. Sie war nicht allein im Zimmer.
“Möchtest du auch was?” Eddie saß hinter ihr auf dem Bett, und sie warf ihm einen Blick über die Schulter zu. Er aß gerade ein indonesisches Fertiggericht – Chow Mein.
“Nein, danke.” Sie wandte sich wieder dem Fenster zu, obwohl sie inzwischen wusste, dass ihre Warterei vergebens war. Aus irgendeinem Grund kamen sie nicht.
Lieber Gott, bitte mach, dass es Shelly gut geht.
Nachdem Eddie aufgegessen hatte, stellte er die leere Verpackung auf den Nachttisch. “Grace”, sagte er, “du stehst jetzt schon den ganzen Abend an diesem Fenster. Auf wen wartest du denn?” Er sprach so zaghaft, dass sie ihn durch das laute Getöse des Sturms beinahe nicht verstanden hätte. In seiner Stimme lag nicht der Hauch eines Vorwurfs. Er stellte einfach nur eine vorsichtige Frage.
“Auf niemanden.” Sie ging zu einem Stuhl an der Seitenwand des Zimmers und setzte sich resigniert. “Ich sehe nur dem Sturm zu.” Als Eddie plötzlich vor ihrer Zimmertür gestanden hatte, war sie schockiert gewesen. War er ihr doch tatsächlich den weiten Weg von Rodanthe gefolgt. Doch jetzt, da Shelly und Rory nicht kamen, war die Wut auf ihn verflogen. Jetzt war sie froh, nicht allein zu sein. Eddie hatte sie nicht nach ihren Beweggründen gefragt, sich in einem Motel so weit von Rodanthe entfernt einzuquartieren, und sie hatte ihm nichts erklärt. Nun veränderte er seine Position auf dem Bett, und sie wusste, dass er mit ihr reden wollte.
Er beugte sich zu ihr hinüber. “Ich liebe dich, Grace. Und ich muss wissen, was los ist. Ich mache mir Sorgen um dich. Wenn es sich um ein weiteres medizinisches Problem handelt, werden wir das schon lösen. Aber bitte verrate mir, was dich beschäftigt.” Er flehte sie an, und sie kam sich schäbig vor. “Es ist doch mehr als das Unglück mit Pam”, fuhr er fort. “Es muss mehr sein. Warum bist du seit Wochen so verschlossen? Wo steckst du die ganze Zeit?”
Die meisten Männer hätten bei einer geistig derart abwesenden Frau, die so selten zu Hause war, eine Affäre vermutet. Nicht so Eddie. Er wusste, dass sie zurzeit niemandem irgendetwas geben konnte.
“Es geht mir gut, Eddie”, entgegnete sie. “Ich möchte jetzt nicht über … mich oder irgendwas anderes sprechen. Ich möchte nur schlafen. Und ich kann nicht neben dir schlafen.” Bei den letzten beiden Worten brach ihre Stimme. Der Gedanke, neben ihrem Mann zu liegen, war unerträglich. Weil sie ihn hasste. Und weil sie ihn liebte.
“Ich werde nach einem Zustellbett fragen”, sagte Eddie und griff nach dem Telefonhörer.
Nach einer von Schweigen erfüllten halben Stunde rollte ein Bediensteter ein Zustellbett ins Zimmer. Grace zog sich im Badezimmer um, und als sie den Raum wieder betrat, lag Eddie schon auf dem Zweitbett unter seiner Decke und hatte das Licht gelöscht.
“Ich liebe dich”, sagte er, als sie im Bett lag. Grace kniff die Augen zusammen und tat, als hätte der Sturm seine Worte verschluckt.
Sie versuchte, an nichts zu denken – weder an Shelly noch an den Sturm noch an Eddie. Doch ihr Kopf gehorchte ihr nicht, und ihr kamen
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