Sommerkind
Erinnerungen an einen Modeljob in Maui in den Sinn.
Sie erinnerte sich an jedes noch so klägliche Detail, sogar an den Sonnenbrand. Im Spiegel über dem Waschtisch aus Marmor glühten ihre feuerroten Schultern. Glücklicherweise war es der letzte Tag des Fotoshootings gewesen, denn ihre Haut würde nicht eine Stunde länger unter der brennenden hawaiianischen Sonne mitmachen. Doch das war nicht der einzige Grund, weshalb sie das Ende dieses Jobs so herbeisehnte.
Sie war im Laufe ihrer Modelkarriere in großen Schritten vorangekommen und hatte mit ihren siebzehn Jahren bereits genügend Aufmerksamkeit erregt und positive Kritiken gesammelt, dass sie zusammen mit drei anderen Mädchen aus Brads Agentur für dieses Fotoshooting auf Hawaii gebucht worden war. Es war ihre große Chance, und sie freute sich riesig darüber. Dennoch hatte sie von Beginn der Reise an gewusst, dass sie in Schwierigkeiten steckte.
Sie hatte mit Brad im Flieger gesessen, so wie immer. Die anderen Models gluckten zusammen, während sie bei Brad war. Die Mädchen beneideten sie um ihr inniges Verhältnis zu dem Agenturchef und behandelten sie abweisend. Grace hatte gelernt, in der Nähe der Person zu bleiben, die sich für sie interessierte: Brad. Er war freundlich und liebevoll, und obwohl er ihr immer wieder seine Liebe beteuerte, verlangte er nie mehr von ihr als eine zärtliche Umarmung. Wenn seine Zurückhaltung sie auch verwirrte – sie war dankbar dafür. Sie hätte gar nicht gewusst, wie sie jemanden hätte zurückweisen sollen, der so viel für sie getan hatte.
Natürlich waren sie alle erster Klasse geflogen, doch die hatten ein Stück entfernt in ihrer Nähe gesessen. Sie blieben unter sich und sprachen lautstark über süße Fressattacken und Erbrechen, über Sex und Drogen. Doch was Grace am meisten störte, war, dass Brad in die Unterhaltung einstimmte. Die Erkenntnis, dass auch er Kokain nahm und Pillen einwarf, schockierte sie. Irgendwie hatte er diese widerliche Tatsache stets vor ihr geheim gehalten, doch nun genoss er es offenbar, diese Seite von sich vor den drei erfahrenen Models zu zeigen, die ihn alle gut zu kennen schienen. Grace hatte sich klein, verängstigt und allein gefühlt, und dieses Gefühl war während der fünf Tage auf Maui nur noch stärker geworden. Lediglich vor der Kameralinse hatte sie eine wohltuende Sicherheit verspürt.
Sie rieb ihren Sonnenbrand mit Feuchtigkeitslotion ein und schlüpfte für die Party, die Brad am Abend in seiner Suite gab, in ein kurzes schwarzes Kleid mit Spaghettiträgern. Viel lieber hätte sie den letzten Abend auf Maui mit einem Buch in ihrem opulenten Zimmer verbracht. Doch sie wusste, dass ihr Erfolg als Model zum Teil auch davon abhing, sich auf Veranstaltungen wie dieser zu zeigen. Bei der erstbesten Gelegenheit würde sie sich verdrücken.
Als sie in Brads Suite ankam, war anscheinend jeder auf irgendeinem Trip, und sie fühlte sich naiver und unbeholfener als je zuvor.
“Da ist sie ja!”, sagte Brad, als er durch die Menge auf sie zukam. Er nahm sie bei den Schultern und küsste sie auf die Wange. Sie konnte den Alkohol in seinem Atem riechen und war sicher, dass Alkohol nicht das Einzige war, was er an diesem Abend zu sich genommen hatte.
Während Brad sie – einen Arm um ihre Taille gelegt – durch die Menge schob, heftete sie ein Lächeln auf ihr Gesicht. Er stellte sie verschiedenen Leuten vor und schenkte ihr ein Getränk ein, das sie jedoch auf keinen Fall anrühren würde. Die Blicke der anderen Models deutete sie als Neid und Geringschätzung, die der Fotografen und Visagisten als Kritik. Die Suite war zu verraucht, die Musik zu laut. Sie fragte sich, wie lange sie wohl bleiben müsste.
“Komm hierher”, sagte Brad und führte sie an die Seite des Raumes, wo Joey stand, einer der Fotografen.
“Wie geht es meinem Lieblingsmodel?”, fragte Joey. Seine Augen waren glasig.
“Ganz gut”, antwortete Grace. Sie fand Joey eigentlich ganz süß. Er hatte lange, gelockte blonde Haare und blassblaue Augen, und bei den Strandaufnahmen am Vortag hatte sie sich zu ihm hingezogen gefühlt. Doch jetzt stießen sie der glasige Blick und der weiße Soßenfleck in seinem Mundwinkel ab.
Auf einmal legte Brad eine Hand flach auf ihren Bauch. Der Druck war nicht stark, doch die Geste war intim und überraschte sie. Sanft versuchte sie, seine Hand wegzuschieben, doch er verschränkte nur seine Finger mit ihren, zog sie näher an sich heran und küsste sie von
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