Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
konnte. »Früher haben sie Leute umgebracht und ihnen die Augen ausgestochen, wenn sie von ihnen wussten.«
Die Übelkeit stieg wieder in ihr hoch. Sie schloss die Augen.
»Schhh!« Er rückte näher an sie heran, beruhigte sie, wie er es immer tat, wenn sie verzweifelt war. »Lass gut sein.«
»Was, wenn sie mich blenden? Was, wenn sie …«
»Hör auf. Wir finden schon eine Lösung.« Er zog sie auf seinen Schoß und wiegte sie wie ein Kind hin und her.
Genau wie Keenan letzte Nacht.
Ashlyn versuchte aufzustehen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen und das Gefühl, Seth verraten zu haben, obwohl sie doch nur getanzt hatte – hoffte sie.
Was, wenn ich und Keenan, wenn wir … Sie fing erneut an zu schluchzen.
»Schhh …« Seth wiegte sie im Arm und redete besänftigend auf sie ein.
Und sie ließ ihn gewähren – bis ihr wieder die Elfen einfielen und dass sie mit Keenan getanzt und ihn geküsst hatte und nicht wusste, was vielleicht sonst noch passiert war.
Sie riss sich los und stand auf.
Seth blieb auf dem Fußboden sitzen. Er stützte seinen Ellbogen auf den Sessel, auf dem sie vorher gesessen hatte, und legte den Kopf in seine Hand.
Sie konnte ihn nicht ansehen und zog die Schultern hoch, als wäre ihr kalt. »Was machen wir denn jetzt?«
Er stellte sich neben sie. »Wir improvisieren. Er hat versprochen, dir einen Gefallen zu tun. Wenn es stimmt, was in den Büchern steht, sind Schwüre für sie wie Gesetze.«
Sie nickte.
Er stellte sich vor sie und beugte sich so weit vor, dass seine längeren Haarsträhnen wie ein Netz über ihr Gesicht fielen. »Den Rest kriegen wir auch noch geregelt.«
Dann küsste er sie – weich, zärtlich, liebevoll. »Wir schaffen das. Zusammen. Ich bin für dich da, Ash, auch nachdem du mir erzählt hast, was sonst noch passiert ist.«
»Wie meinst du das?« Die Welt verschwamm erneut vor ihren Augen.
»Du hast etwas getrunken, was du nicht vertragen hast. Dann hast du bis zum Morgengrauen getanzt und bist mit Übelkeit in deinem Bett aufgewacht.« Er nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Was ist sonst noch passiert?«
»Ich weiß es nicht.« Sie fröstelte.
»Okay. Wie bist du nach Hause gekommen?«
»Ich weiß es nicht.« Sie erinnerte sich noch an den Geschmack von Sonnenschein, an die Sonnenstrahlen, die sie gewärmt hatten, als sie in Keenans Gesicht geschaut und er sich über sie gebeugt hatte. Was ist passiert?
»Seid ihr noch irgendwo anders hingegangen?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte sie.
»Hast du mit ihm geschlafen?« Er sah ihr direkt in die Augen, als er die Frage stellte, die sie sich schon selbst – vergeblich – zu beantworten versucht hatte.
»Ich weiß es nicht.« Sie schaute weg und fühlte sich jetzt, wo die Worte im Raum standen, noch schlechter. »Das wüsste ich doch, oder? Daran würde ich mich erinnern. Glaubst du nicht auch?«
Er zog sie an sich und schob ihren Kopf unter sein Kinn, als könnte er sie vor allem Bösen beschützen, wenn er sie nur fest genug im Arm hielt. »Keine Ahnung. Gibt es denn irgendeine Kleinigkeit, an die du dich erinnerst? Irgendetwas?«
»Ich erinnere mich, getanzt und getrunken und auf einem merkwürdigen Stuhl gesessen zu haben. Und dann war der Jahrmarkt plötzlich verschwunden. Er hat mich geküsst.« Sie erschauderte. »Es tut mir so leid.«
»Es ist nicht deine Schuld«, sagte er und strich ihr übers Haar.
Sie versuchte sich loszumachen.
Er hielt sie nicht fest, ließ aber seine Hände auf ihren Armen liegen. Er sah so ernst aus, so entschlossen. »Hör zu. Was immer passiert ist, du kannst nichts dafür. Er hat dir irgendeine Droge eingeflößt, irgendeinen Elfenfusel. Du warst betrunken, high, was auch immer, und was danach passiert ist, ist nicht deine Schuld.«
»Ich weiß noch, dass ich gelacht und mich amüsiert habe.« Sie schaute auf ihre Hände, die sie fest zusammenballte, damit sie nicht zitterten. »Es hat mir Spaß gemacht, Seth. Was, wenn ich wirklich irgendwas getan habe? Was, wenn ich ja gesagt habe?«
»Das ist egal. Wenn du nicht ganz bei dir warst, zählt deine Einwilligung nicht. So einfach ist das. Er hätte dich nicht anrühren dürfen, Ashlyn. Wenn er es doch getan hat, dann ist er es, der sich falsch verhalten hat. Nicht du.« Er klang wütend, aber er sagte ihr nicht, dass er Recht gehabt hatte, dass sie gar nicht erst hätte hingehen sollen. Er machte ihr keine Vorwürfe. Stattdessen strich er ihr die Haare hinters Ohr, legte seine Hand auf ihre Wange
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