Sommerlicht Bd. 1 Gegen das Sommerlicht
du Ashlyn heute schon gesehen?«
»Nein«, erwiderte sie lachend. »Ich dachte, sie wäre vielleicht noch bei dir.«
»Nein.« Er sah an Rianne vorbei zu einigen Sommermädchen, die mit einem nicht im Dienst befindlichen Ebereschenmann flirteten. »Ich hab sie heute Morgen nach Hause gebracht.«
»Aha, heute Morgen, soso.« Sie schüttelte den Kopf und grinste ihn weiter an. Trotz ihres ganzen Getues roch sie für ihn nach Unschuld; unberührt und zart. Ihre Worte standen in einem krassen Gegensatz zu ihrer Ausstrahlung. »Ich hab doch gewusst, dass ich die Wette gewinne.«
»Wir haben bloß getanzt.«
»Das ist doch schon mal ein Anfang, oder?« Sie schaute sich um und warf einen Blick zurück ins Innere des Ladens. Einen Augenblick lang verschwand ihre zur Schau getragene Laszivität und ihre eigentliche Persönlichkeit kam zum Vorschein. »Mal ganz unter uns: Ashlyn könnte ein bisschen mehr Spaß im Leben gebrauchen. Sie ist viel zu ernst. Ich glaube, du wirst ihr guttun.«
Keenan schwieg. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht; das Einzige, was zählte, war doch, dass sie gut für ihn war, gut für die Sommerelfen.
War er gut für sie? Angesichts all der Opfer, die sie würde bringen müssen, und der Schwierigkeiten, die ihnen bevorstanden, wenn sie wirklich die Königin war, war er sich da nicht sicher. Wahrscheinlich nicht . »Ich werde mir Mühe geben, Rianne.«
»Du hast sie immerhin schon mal so weit gebracht, bis zum Morgengrauen mit dir zu tanzen; das klingt für mich nach einem guten Anfang.« Rianne tätschelte ihm den Arm, um ihn für etwas zu trösten, dessen Bedeutung sie nicht einmal ansatzweise erahnen konnte. »Mach dir nicht so viele Sorgen.«
»Okay.«
Als sie weg war, ließ Keenan seinen Zauber verblassen, bis er seinen normalen Zustand erreicht hatte und für Sterbliche unsichtbar war. Dann lief er weiter in Richtung Loft. Wenn er jemals die Weisheit seiner Berater gebraucht hatte, dann jetzt.
Keenan spürte die Musik schon, bevor er das Loft betreten hatte. Er atmete tief durch und ging mit einem aufgesetzten Lächeln hinein.
Ein kurzer Blick genügte, und Tavish löste sich aus Elizas Umarmung. »Komm mit«, sagte er und ging zum Büro.
In Zeiten wie diesen kam es Keenan fast so vor, als hätte er einen Vater, wenn Tavish um ihn war. Der ältere Elf war ein Berater und Freund des letzten Sommerkönigs gewesen; er hatte Keenan zur Seite gestanden, als er volljährig wurde und Beiras Haushalt verließ. Obwohl Tavish es sich niemals angemaßt hätte, sich wie ein Vater aufzuführen, war er doch weit mehr als ein Diener.
Niall öffnete den Mund, als er sah, dass sie auf das Büro zusteuerten.
Aber Keenan schüttelte den Kopf. »Nein, bleib du bei den Mädchen«, sagte er.
»Wenn du mich brauchst …«
»Das tue ich. Immer.« Keenan drückte Nialls Schulter. »Im Moment brauche ich wen, der niemanden zu uns hereinlässt.«
Dies war nicht der richtige Ort, um zu reden. Wenn sich herumsprach, dass er Beira der Heimtücke und Betrügerei bezichtigte, und Gerüchte aufkamen, Ashlyn besäße die Sehergabe, konnte das für sie alle übel enden.
Also gab er sich den Anschein von Gelassenheit, während er – unter Umarmungen der Sommermädchen, die ausgelassen mit außer Dienst befindlichen Leibwachen tanzten – durch den Raum ging. Keinerlei Hinweis auf Probleme geben. Lächeln .
Als er schließlich bei Tavish ankam, hätte er die Tür am liebsten für den ganzen restlichen Tag hinter sich verriegelt. Zwar hielt er die Mädchen und seine Leibgarde für vertrauenswürdig, aber man konnte ja nie wissen.
Tavish schenkte ihm ein Glas Wein ein. »Hier.«
Keenan nahm das Glas und sank in einen der schweren Ledersessel.
»Was ist passiert?«, fragte Tavish, nachdem er sich ihm gegenüber niedergelassen hatte.
Und Keenan erzählte – von Ashlyns Sehergabe, von Beiras Drohungen, alles.
Tavish starrte in sein Glas, als wäre es ein Spiegel, und schwenkte es. »Es kann immer noch sein, dass Ashlyn nicht die Königin ist, aber Beira hat Angst vor ihr. In meinen Augen ist das Grund genug, zu hoffen, dass sie es ist – mehr Grund, als wir je gehabt haben.«
Keenan nickte, sagte jedoch nichts. Tavish sprach meistens in Andeutungen.
Anstatt Keenan anzusehen, ließ er seinen Blick durch den Raum wandern, als läse er die Rücken der Bücher, die alle vier Wände des Büros bedeckten. »Ich warte seit langer Zeit mit dir zusammen, aber ich habe noch nie behauptet, eines der Mädchen
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