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Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis

Titel: Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Marr
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Radar zu besitzen, mit dem sie andere Leute aufspüren konnte. Niemand konnte sich erklären, wie sie das anstellte.
    »Ani braucht Ruhe.« Er legte eine Hand an ihre Hüfte und korrigierte ihre Haltung. Dann sprühte er dort, wo das Tattoo hinkam, etwas auf ihren Rücken – oben zwischen die Schulterblätter, über die ganze Breite des Rückens und auf die Stelle, wo in Leslies Vorstellung die Flügel ansetzen würden, wenn sie echt wären. Sie schloss die Augen, als er die Schablone auf ihre Haut drückte. Irgendwie fühlte sich sogar das aufregend an.
    Dann zog er das Papier ab. »Sieh mal nach, ob es da sitzt, wo du es haben willst.«
    Sie musste sich bremsen, um nicht zu rennen, als sie zum Spiegel eilte, um mit Hilfe eines Handspiegels ihren Rücken darin zu begutachten. Und da war es – ihr Tattoo, ihr perfektes Tattoo als Schablone auf ihrer Haut. Leslie grinste so breit, dass ihre Wangen schmerzten. »Ja, o Gott, ja.«
    »Setz dich.« Er zeigte auf den Stuhl.
    Sie setzte sich auf die Kante und sah zu, wie Rabbit systematisch Handschuhe überstreifte, einen sterilen Spatel auspackte, damit einen Klumpen durchsichtiger Salbe aus einem Schälchen schabte und sie auf ein Tablett schmierte, über das er zuvor ein Tuch gebreitet hatte. Dann nahm er mehrere kleine Farbkappen, steckte sie in den Farbkappenhalter und goss Tinte hinein.
    Ich hab ihm schon so oft dabei zugesehen; es ist nichts Besonderes. Aber wegsehen konnte sie trotzdem nicht.
    Rabbit verrichtete jeden dieser Schritte schweigend und als wäre sie gar nicht vorhanden. Er öffnete eine Packung Nadeln und zog eine lange dünne Metallstange heraus. Es sah aus, als wäre es nur eine Nadel, doch aus den vielen Gesprächen zwischen Rabbit und seinen Kunden, die sie mit angehört hatte, wusste sie, dass an der Spitze einer Nadelstange mehrere einzelne Nadeln saßen. Meine Nadeln, für mein Tattoo, in meiner Haut. Rabbit steckte die Nadelstange in die Maschine. Dem leisen Geräusch von Metall, das über Metall glitt, folgte beim Einrasten ein fast unhörbares Klick . Leslie stieß die Luft aus, die sie unwillkürlich angehalten hatte. Wenn sie geglaubt hätte, dass Rabbit es erlaubte, hätte sie ihn gebeten, die Tätowiermaschine einmal halten und die primitiv wirkenden Spulen und spitzen Metallteile anfassen zu dürfen. Stattdessen sah sie zu, wie Rabbit alles richtig einstellte. Sie schauderte. Die Maschine sah aus wie eine grobe Handnähmaschine – und damit würde er etwas so Schönes in ihre Haut stechen. Der Vorgang hatte etwas Archaisches, das in ihrem Inneren etwas auslöste; eine Ahnung davon, dass sie danach unwiderruflich eine andere sein würde, und genau das brauchte sie.
    »Dreh dich um.« Rabbit zeigte nach vorn, und sie setzte sich so hin, dass sie ihm den Rücken zuwandte. Er schmierte mit einem behandschuhten Finger Salbe auf ihre Haut. »Bist du bereit?«
    »Mm-hmmm.« Sie wappnete sich innerlich und fragte sich kurz, ob es wehtun würde; aber das war ihr egal. Manche klagten, der Schmerz sei kaum auszuhalten, andere dagegen schienen gar nichts zu spüren. Es wird schon gehen . Die erste Berührung der Nadel erschreckte sie, ein Stechen, das sich eher wie ein Reiz als ein Schmerz anfühlte. Es war alles andere als schlimm.
    »Geht’s?« Er hielt inne und nahm die Nadel hoch, während er sprach.
    »Mm-hmm«, wiederholte sie. Das war die wortgewandteste Antwort, zu der sie in diesem Moment fähig war. Dann, nach einer Pause, die so lang war, dass sie ihn fast schon anbetteln wollte weiterzumachen, senkte er die Tätowiermaschine erneut auf ihre Haut. Keiner von ihnen sprach, während er die Kontur des Tattoos stach. Leslie schloss die Augen und konzentrierte sich auf die Maschine, die mal summte, mal innehielt, sich mal in ihre Haut senkte und mal angehoben wurde. Sie konnte nicht zusehen, aber sie hatte Rabbit schon oft genug bei der Arbeit beobachtet, um zu wissen, dass er in einigen dieser Pausen die Spitze der Nadel in die kleinen Kappen mit Tinte tunkte wie ein Gelehrter seinen Federkiel.
    Sie saß dort wie eine atmende Leinwand, mit dem Rücken zu ihm. Es war wunderbar. Nur das Summen der Maschine erfüllte den Raum. Doch es war mehr als ein Geräusch: Es war eine Vibration, die durch ihre Haut bis ins Mark ihrer Knochen vorzudringen schien.
    »Könnte ich doch für immer so sitzen bleiben«, flüsterte sie mit geschlossenen Augen.
    Von irgendwoher drang ein tiefes, grollendes Lachen zu ihnen. Leslie schlug die Augen auf. »Ist

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