Sommerlicht Bd. 2 Gegen die Finsternis
woraus sich diese seltsame Melancholie speiste, die von ihm Besitz ergriffen hatte, und bedeutete Gabriel, ebenfalls einen relativ unbedrohlich wirkenden Zauber anzulegen. »Hübsch dich mal ein bisschen auf.«
Die Veränderungen, die sich nun an Gabriels Erscheinungsbild vollzogen, waren subtiler als bei Irial: Er blieb bei seiner schwarzen Jeans und einem kragenlosen Hemd, verbarg aber die Hunde-Tattoos unter langen Ärmeln. Seine widerspenstigen Haare waren nun ebenso wie sein Ziegenbärtchen und seine Koteletten ordentlich gekämmt. Doch auch Gabriel trug nicht seinen üblichen Zauber. Sein Gesicht wirkte irgendwie sanfter, es fehlten die dunklen Schatten und eingefallenen Wangen, die er den Sterblichen sonst zeigte. Natürlich änderte dies nichts an der einschüchternden Körpergröße des Hundselfen, aber für Gabriels Verhältnisse wirkte er fast schon brav.
Als sie aus dem Wagen stiegen, zeigte Gabriel einigen umstehenden Wachen des Sommerhofs höhnisch grinsend die Zähne. Mit Sicherheit passten sie auf die Sterbliche auf, da sie eine Freundin der neuen Sommerkönigin war. Die Wachen sahen Gabriel ohne seinen Zauber und erschauderten. Wenn er ihnen Ärger machte, würde keiner von ihnen ohne schwere Blessuren davonkommen.
Irial stieß die Tür zum Restaurant auf. »Nicht jetzt, Gabriel.«
Nach einem gierigen Blick auf die Elfen, die draußen Wache standen, betrat auch Gabriel das Restaurant. »Nach dem Essen kannst du unseren Beobachtern gern noch einen Besuch abstatten«, flüsterte Irial ihm leise zu. »Ein bisschen Angst und Schrecken in der Nähe meines Mädchens … Dafür ist sie schließlich da, oder? Aber jetzt wollen wir erst mal sehen, wie stabil die Verbindung zwischen uns schon ist.«
Auf Gabriels Gesicht breitete sich ein seliges Lächeln aus, als er an den bevorstehenden Kampf mit den Wachen des Sommerhofes dachte. Ihre Anwesenheit deutete darauf hin, dass weder die Winter- noch die Sommerelfen das Mädchen anrühren durften, und auch keine ungebundene Elfe wäre so dumm, sich einen Spaß mit einer Sterblichen zu gönnen, die so sorgfältig bewacht wurde. Und das bedeutete natürlich auch, dass Irial das große Vergnügen haben würde, sie zu rauben, bevor die anderen überhaupt mitbekamen, in welcher Gefahr sie schwebte.
»Nur Sie beide?«, fragte die Kellnerin an der Tür, eine ziemlich nichtssagende Sterbliche mit einem fröhlichen Lächeln.
Ein rascher Blick auf ihr Pult zeigte ihm, für welche Tische seine Sterbliche zuständig war. Irial deutete auf einen Tisch in der hinteren Ecke, einem leicht abgedunkelten Bereich, der besonders für romantische Dinner zu zweit oder heimliche Stelldicheins geeignet war. »Wir nehmen den Tisch da ganz hinten. Den neben dem Ficus.«
Nachdem die Kellnerin sie an den gewünschten Tisch geführt hatte, wartete Irial, bis sie – Leslie – mit wiegenden Hüften und einem freundlichen, warmen Lächeln näher kam. Wäre er der Sterbliche gewesen, der zu sein er vorgab, hätte dieses Lächeln seine bezaubernde Wirkung nicht verfehlt. Doch unter den gegebenen Umständen waren es vor allem die Schatten, die das Mädchen umspielten, und die hauchdünnen Ranken, die sich in Schlangenlinien von ihrer Haut zu seiner wanden und nur für Dunkelelfen sichtbar waren, die ihm den Atem raubten.
»Hallo, ich heiße Leslie. Ich bin Ihre Bedienung für heute Abend«, erklärte sie, während sie einen Korb mit frischem Brot auf den Tisch stellte. Dann sagte sie die Tageskarte und anderen Unsinn auf, dem er kaum zuhörte. Für seinen Geschmack hatte sie zu dünne Lippen. Sie hatte sie nur ganz leicht mit einem rosafarbenen, mädchenhaft wirkenden Lippenstift nachgezogen. Für meine Sterbliche absolut unangemessen . Doch die Dunkelheit, die sie auf so ergreifende Weise umwehte, passte ausgezeichnet an seinen Hof. Er betrachtete sie eingehend; obwohl ihre Verbindung noch schwach war, konnte er bereits ihre Gefühle lesen. Bei ihrem ersten, zufälligen Zusammentreffen war sie bereits angegriffen gewesen, doch nun schien sie von Schatten geradezu überwuchert. Irgendwer hatte ihr seitdem wehgetan, sehr weh sogar.
Seine Wut darüber, dass jemand berührt hatte, was ihm gehörte, wetteiferte mit einer Erkenntnis: Gerade was diese anderen ihr angetan hatten, machte sie erst reif dafür, ihm zu gehören. Wenn die anderen sie nicht vor ihm verwundet hätten, wäre sie für ihn unerreichbar. Und würde sie nicht so erfolgreich gegen die Dunkelheit ankämpfen, wäre sie
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