Sommerlicht Bd. 4 Zwischen Schatten und Licht
die Balance verloren – aus eigener Schuld. Die Königin des Lichts, die Unveränderliche Königin, hatte sich verändert.
»Es war die richtige Entscheidung«, beharrte sie. »Ich brauchte ihn. Er brauchte mich.«
»Können wir uns setzen?« Devlin deutete mit zittriger Hand in den Raum zwischen ihnen. Sorcha ließ einen Tisch und zwei Stühle darin erscheinen. Er setzte sich und starrte sie an. Nach mehr Jahrtausenden, als sie selbst noch sagen konnten, hatte Sorcha gravierende Veränderungen herbeigeführt. Devlin war sich nicht sicher, was das für das Elfenreich oder die Welt der Sterblichen bedeutete, aber bisher waren die Folgen – Sorchas Trauer und das Beinahe-Ende des Elfenreichs – nicht besonders ermutigend.
Devlin berührte vorsichtig ihre Hand. »Was hast du getan, Schwester?«
»Mich von ihr befreit. Wir unterscheiden uns jetzt voneinander. Ich habe Spuren von einem Sterblichen in mich aufgenommen und ihm ein Stück von mir geschenkt. Verstehst du nicht? Bananach und ich bilden jetzt keine perfekten Gegensätze mehr.« Sorcha lächelte, und der Mond über ihren Köpfen leuchtete heller. Die Luft schmeckte immer reiner, je größer ihre Zufriedenheit wurde. »Es war nicht meine Absicht, aber es hat … Oh, es hat mir so viel mehr gegeben, als ich für möglich gehalten hätte. Ich habe einen Sohn, ein eigenes Kind, Gefühle, die ich vorher nicht verstanden habe. Und ich kann meiner Nicht-Mehr-Zwillingsschwester begegnen, ohne mich unwohl zu fühlen. Ich könnte sie vielleicht sogar töten …«
»Nein, das darfst du nicht.« Devlin packte ihre Hände. »Denk doch mal nach! Wenn du dich irrst, wenn ihr immer noch aneinander gebunden seid … Willst du uns denn alle umbringen?«
»Wenn sie Seth etwas antut, würde ich nicht zögern.« Sorcha riss sich von ihm los. »Vielleicht wird es Zeit, dass sie nicht die Einzige ist, die zwischen Elfenreich und der Welt der Sterblichen hin- und herreist. Vielleicht müssen die Dinge sich ändern.«
»Du bist die Unveränderliche Königin .« Devlin zwang sich trotz seiner wachsenden Panik mit ruhiger Stimme zu sprechen. »Du darfst nicht länger als ein paar Sekunden dorthin gehen. Die Realität wird …«
»Sich anpassen. Ja, aber ist das so schlimm?« Ihr Blick hatte etwas Fanatisches. »Das Elfenreich beugt sich meinem Willen. Sieh doch, wie gut es hier ist.«
Besorgt nahm Devlin eine plötzliche Bewegung um sich herum wahr. Er schloss die Augen. Und dann sah er sie: Ineinander verwobene und verhedderte Fäden, veränderte Leben und verpasste Möglichkeiten, Tode, die sie nicht ungeschehen machen konnten. Solange der Schleier zwischen den Welten offen war, aber kein Gleichgewicht zwischen den Zwillingen herrschte, war Sorcha in Gefahr – und mit ihr das gesamte Elfenreich.
Er kniete sich vor sie hin. »Es tut mir leid, dass ich dich enttäuscht habe.«
»Ich wollte, dass du mein Sohn bist«, flüsterte sie, »aber ich konnte ihr Kind nicht als mein Kind betrachten. Du bist immer noch mein Bruder. Familie.«
»Ich weiß.« Er hielt seine Sorgen vor ihr verborgen. Wenn Sorcha erfuhr, dass Bananach nach einem Weg suchte, ihren Sohn zu töten – wenn sie erfuhr, dass ihr Nicht-Mehr-Zwilling Ani befohlen hatte, Seth umzubringen, würde die Königin des Elfenreichs sehr wütend werden. Und eine allmächtige zornige Königin, die in der Welt der Sterblichen Jagd auf die Kriegselfe machte, war weder im Interesse der einen noch der anderen Welt.
Die Trennung von Bananach bedeutete, dass Sorcha nie gekannte Gefühle empfand, dass die eine Elfe, die eigentlich für perfekte Klarheit stand, ihre Balance verloren hatte. Bis diese Balance wiederhergestellt war, gab es nur wenig Aussicht auf Stabilität.
Wie bekomme ich sie also wieder ins Lot? Er war der einzige andere starke Elf im Reich. Und er wusste keine Antwort auf diese Frage.
Die Antworten, die er brauchte, würde er aber auch nicht finden, indem er im Elfenreich auf sie wartete. Er musste in die Welt der Sterblichen zurückkehren.
Vierunddreißig
Devlin stand mit Rae und Ani in seinen Gemächern. Nachdem er ihnen alles berichtet hatte, fügte er hinzu: »Ich habe nicht vor, lange wegzubleiben, aber ich muss mit Niall reden.«
»Nein.« Ani zeigte auf die Klinge des Messers, das sie gerade gereinigt hatte. »Hast du den Kampf vergessen, der gerade tobte, als wir von dort weg sind? Du bist da nicht sicher, und … ohne mich gehst du nirgendwohin, Devlin. Schlicht und einfach: nein
Weitere Kostenlose Bücher