Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
nahm ihm zugleich alle Hoffnung auf Rettung.
Ich muss selbst eine Lösung finden.
Es gab nur einen Elfen vom Lichthof, der sich in der Welt der Sterblichen aufhielt, und die Königin des Lichts besaß nur einen Erben. Doch natürlich half ihm das nicht in der Frage weiter, wie man der Gegenpol eines vor Trauer wahnsinnigen, nicht zu bändigenden Königs werden konnte.
Vielleicht gibt es einen starken ungebundenen Elfen, der ihn ausbalancieren kann.
Sobald die Trauer um den Verlust Irials nachließ, könnten Niall und die anderen Regenten darüber beraten. Auch wenn Seth jetzt nicht wusste, wie das Problem zu lösen war – falls Niall ihn jemals wieder freiließ, würde er auf jeden Fall versuchen, eine Antwort zu finden, selbst wenn er dafür Keenan um Hilfe bitten musste.
Vorerst durchstöberte Seth die sich ständig verändernden Zukunftsfäden in der Hoffnung, einen Hinweis darauf zu finden, wie er an Niall herankommen konnte. Nicht alle Fäden enthüllten Dinge, die Seth gern sah; bei einigen zog sich ihm vor Schreck das Herz zusammen und keiner brachte mehr Klarheit über die unmittelbare Zukunft.
Er wusste nicht, wie viele Stunden er mit dem Sichten der verschiedenen Zukunftsszenarien verbracht hatte, als eine Distelelfe an seiner Zelle erschien.
»Komm.« Die Elfe öffnete die Tür und packte Seths Arm. Die Dornen auf ihrer Haut stachen ihn.
»Du brauchst mich nicht festzuhalten, ich laufe nicht weg«, erklärte Seth. »Du hast mein Wort. Ich gehe neben, vor oder hinter dir, wohin auch immer der König der Finsternis dir befohlen hat mich zu bringen.«
Die Elfe packte mit ihrer anderen dornenbewehrten Hand seine Schulter. »Ich befolge exakt die Anweisungen meines Königs.«
»Alles klar.«
Seth bemühte sich, die stechenden Dornen zu ignorieren, während er aus der Zelle und durch den Gang geführt wurde. Körperpiercing war absolut in Ordnung – und manchmal sogar angenehm –, aber diese vielen winzigen Schnitte waren alles andere als das. Später – wenn es ein Später gab – würden Niall und er ihre Freundschaft nur mit viel Mühe wieder ins Lot bringen können bei all den Verletzungen, die sie einander zugefügt hatten.
Bevor Seth in den Elfenstand erhoben worden war, war ihm nicht klar gewesen, welches Gewicht die Entscheidungen von Elfen hatten. Jetzt sah er sich mit der Möglichkeit konfrontiert, eine Ewigkeit lang die Fäden aller Personen um ihn herum vor Augen zu haben. Wenn er sich einmischte, konnte das Einfluss auf die Zukunft haben. Wann habe ich ein Recht dazu? Wann ist es falsch, einzugreifen? Oder es gerade nicht zu tun? Seth wusste nicht, wie er sich verhalten hätte, wenn eine andere Elfe Bananachs Gift zum Opfer gefallen wäre. Wenn es Niall getroffen hätte, hätte er auch ihn um des Elfenreichs willen sterben lassen? Was, wenn es Ashlyn gewesen wäre? Gut, dass er von solchen Entscheidungen verschont geblieben war.
»Auf!« Die Distelelfe ließ Seths Arm los, drückte ihm aber unmittelbar darauf ihre Handfläche ins Kreuz und schob ihn vorwärts.
Sie nutzte jede Gelegenheit, Seth Schmerzen zuzufügen, während sie ihn von Nialls Haus zu der Lagerhalle führte, in der der König der Finsternis gegenwärtig Hof hielt.
Dieselben Dunkelelfen, die ihn das Kämpfen gelehrt hatten, beobachteten nun, wie Seth in ein riesiges Ding gestoßen wurde, das wie ein Vogelkäfig mit metallenen Gitterstäben aussah. Der Käfig war so groß, dass Seth darin stehen und mehrere Schritte gehen konnte. Die Elfen konnten durch die Stäbe greifen und ihn piesacken, wenn es sie danach gelüstete, und er hatte gerade so viel Platz, dass er versuchen konnte, ihnen auszuweichen. Das sollte ich wohl sportlich sehen. Plötzlich war Seth mit der Seite des Hofs der Finsternis konfrontiert, die Niall immer vor ihm hatte verbergen wollen. Und hier stehe ich nun.
Der König der Finsternis saß auf seinem Thron und sah schweigend zu, während der Käfig – mit Seth darin – zur Decke hochgezogen wurde. Auch danach blieb er weiter reglos sitzen und starrte Seth nur an, bis die Angehörigen seines Hofs schließlich unruhig wurden.
Seth setzte sich in die Mitte des Käfigs und sah seinerseits unverwandt den König der Finsternis an.
Man hatte ihm eine Schüssel mit Wasser und eine mit trockenen Körnern hingestellt, wie einem Vogel, und in der Ecke lag ein Stapel Zeitungen. Der Eimer neben den Zeitungen war das einzige Zugeständnis an Zivilisiertheit. Seth konnte sich nicht entscheiden, ob
Weitere Kostenlose Bücher