Sommerlicht Bd. 5 Aus dunkler Gnade
Situation?«
Statt zu antworten, zog Far Dorcha Nialls Hemd an und strich über den Stoff. »Sehr hübsch.«
Damit drehte er sich um und schlenderte davon.
Vierundzwanzig
Donia trat vor der Residenz des Sommerhofs auf die Straße. Ich schaffe das. Ich kann meinen Hof führen und gleichzeitig eine Verbündete von Keenans Hof sein. Alle Alternativen schienen in Gewalt zu münden. Wir können zusammenarbeiten. Die ihnen bekannte Welt war instabil, aber sie waren nicht wie ihre Vorgänger. Dass sie sich, ohne in Wut zu geraten, am Sommerhof aufhalten konnte, bewies das. Aber das bedeutet nicht, dass ich auch nur einen Augenblick länger dort bleibe als nötig. In dem Zuhause zu stehen, das Keenan sich mit Ashlyn teilte, ohne darüber nachzudenken, was sie wohl zusammen machten, war dann doch mehr, als sie leisten konnte. Sie wartete nicht, bis ihre Wachen eintraten, aber Sasha war bereits aufgetaucht und trabte neben Donia her. Der Wolf tat meistens das, wonach ihm gerade zu Mute war, und wenn er der Meinung war, dass sie begleitet werden sollte, dann begleitete er sie.
Im Gehen dachte Donia über die Vergangenheit nach, über die Momente, in denen sie und Keenan sich uneins, und die, in denen sie sich nah gewesen waren. Er hatte ihr nie wehtun wollen, ebenso wenig wie den Mädchen, die versucht hatten, ihn zu lieben. Stattdessen hatte er ihnen Wachen zugewiesen und dem ersten Wintermädchen Sasha geschenkt. Früher, vor langer Zeit, hatte Donia geglaubt, der unnatürlich große Wolf gehörte zum Sommerhof. Er war dabei gewesen, als sie das Zepter der Winterkönigin unter dem Busch hervorgeholt hatte, und hatte ihr geholfen, als sie an diesem ersten Tag ins Straucheln gekommen war.
»Selbst jetzt möchte ich ihn noch beschützen«, sagte sie zu Sasha. »Das wird sich wohl nie ändern, was? Ich wünschte, ich könnte aufhören, ihn zu lieben, aber … du hättest ihn sehen sollen. Er hasst Irial – aus gutem Grund – und hatte Streit mit Niall, doch wenn ich ihn bitten würde, zum Hof der Finsternis zu gehen, würde er es tun. Er ist gut, auch wenn er nicht gut für mich ist.«
Der Wolf blieb stehen und sah sie an. Natürlich antwortete er nicht, aber sie war sicher, dass er sie verstand. Sasha war kein gewöhnlicher Wolf. Wölfe lebten nicht jahrhundertelang. Was er war, wusste sie nicht. Keenan hatte es auch nicht gewusst: »Eine Kreatur des Elfenreichs« war alles, was er auf ihre Frage geantwortet hatte.
Sasha stieß sie mit seinem großen Kopf an und Donia ging weiter.
Eine dünne Frostfahne zog sich hinter ihr her. Es war nicht genug Kälte, um all die neuen Knospen abzutöten, die sich aus dem Boden drängten, aber sie versuchte auch gar nicht, sie zu zerstören. Der Übergang von einer Jahreszeit zur anderen war natürlich und richtig. Es war noch nicht die rechte Zeit für den Frühlingsanbruch. Aber bald. Dieses Jahr wollte sie sich, wenn der Frühling kam, weit in den Norden zurückziehen. Wenn ich den bevorstehenden Kampf überlebe.
Nachdem Donia ein paar Blocks weit gelaufen war, bemerkte sie, dass sie beobachtet wurde. Auf den Dächern in ihrer Nähe saßen Krähen aufgereiht. Eine nach der anderen gesellte sich dazu.
»Du könntest gehen«, sagte sie zu Sasha. »Lauf!«
Der Wolf sah sie empört an und lief dann still weiter an ihrer Seite.
Die Krähen taten nichts, wurden aber stetig mehr und ließen sich auf jedem kleinsten Vorsprung nieder. Sterbliche wurden auf sie aufmerksam. Genau das, was wir brauchen. Bananach trotzte den Regeln. Sie war stärker, als sie es zu Donias Lebzeiten je gewesen war, und schamlos in der Demonstration ihrer Macht.
Dann ließ sich die Verkörperung von Zwietracht und Gewalt mit einem Flügelschlagen mitten auf der Straße nieder. Autos hupten, Fahrer schrien auf. Bananach würdigte sie keines Blickes; ihre Aufmerksamkeit galt allein Donia.
Ihre gefiederten Schwingen waren vollständig sichtbar – selbst für Sterbliche, deren wütende Schreie deutlich machten, dass sie sie für eine Art Freak hielten. Sie lächelte – ein schrecklicher Ausdruck von Zufriedenheit, der Donia aus der Fassung brachte. Die Rabenelfe hatte ihr Haar zu einem langen Zopf geflochten und diesen am Hinterkopf festgesteckt. Einige ihrer schwarzen Federn staken in seltsamen Winkeln daraus hervor.
»Schnee! Wie schön, dich zu sehen«, rief Bananach aus, als spräche sie mit einer Freundin, der sie zufällig auf der Straße begegnet war.
»Das kann ich nicht gerade
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