Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
bald würden wir erfahren, was im Kopf des Astronomen vor sich ging, was in diesen Büchern stand. Wir schlürften Kaffee, mümmelten Gebäck, probierten misstrauisch die kleinen Häppchen, waren vergnügt und sagten: Worauf es ankommt, ist, dass Arsenal Meister wird, dass ich heute Abend einen hochkriege, dass es Goggi nicht zu früh kommt, worauf es ankommt, ist, sich am Wochenende mal wieder richtig abzufüllen. Währenddessen stand der Astronom die ganze Zeit oben auf dem Podium hinter dem Pult und blickte vor sich hin, als ginge ihn das alles nichts an, unser Raunen und Gemurmel, die gespannte Erwartung, dieser Abend, der Vortrag, als würde er durch Wände und Dach des Hauses hindurchsehen und den Abendhimmel mustern, der mit Fortschreiten des Herbstes zwischen den Sternen heraufdunkelte. Der ist über alles erhaben, dachten wir, genießt höchsten Respekt, denn er ist ein Weiser. Dabei verhielt es sich in Wahrheit so, dass sich der Astronom am Rednerpult festklammern musste, um nicht umzufallen, das überlebe ich nicht, dachte er. Davið warf hin und wieder einen Blick hinauf zur Bühne, das überlebt er nicht, wisperte er Elisabet zu, die ein schwarzes Samtkleid trug, das sich eng um ihre Figur schmiegte, manche kauten an den Nägeln oder bissen sich auf die Fäuste über dieses schwarze Samtkleid, das allein zählte. Du erinnerst dich, dass auch EHsabet in der Strickerei gearbeitet hat, nicht lange, nur die letzten beiden Jahre, aber obwohl sie noch kaum richtig erwachsen war, stieg sie bald zu einer Art inoffizieller Assistentin des Geschäftsführers auf, dieses Luder, dachten auch die fünf Frauen, die weit vorn saßen und sie nicht aus den Augen ließen. Nur gut, dass Blicke nicht töten können. Elisabet dämpfte das Licht im Saal und fuhr stattdessen die auf die Bühne gerichteten Scheinwerfer hoch, sie und Davið nahmen ganz vorn direkt vor dem Podium Platz, und das Licht der Scheinwerfer hüllte sie ein wie Sprühregen. Das Herz des Astronomen pochte wie ein kleines Tier in der Falle, er schlotterte am ganzen Leib und seine Hände zitterten. Wir schauten auf die Bühne, die Minuten verstrichen, er schwieg, guckte bloß Löcher in die Luft, und einige von uns begannen schon zu glauben, er habe uns hier zusammengerufen, um uns mit dem Schweigen bekannt zu machen, darauf komme es an, und seine Bücher seien voller Schweigen. Ja, klar, unser Geplapper, unser Tratsch und Gewäsch gehen ihm auf den Geist, tagein und tagaus reden wir über nichts als Belanglosigkeiten wie die Länge von Gardinen und die Größe von Autoreifen, und dann sterben wir.
Schweigen ist Gold, wer allein mit sich schweigen kann, kommt auf so manches, das Schweigen dringt durch die Haut, beruhigt das Herz, stillt die Angst, füllt das Zimmer aus, in dem du dich aufhältst, und füllt das ganze Haus, doch draußen jagt die Zeit, sie ist ein Sprinter, ein Formel-1-Rennwagen, ein Hund, der dem eigenen Schwanz nachjagt und ihn doch nie einholt. Nur leider ist das Schweigen menschenscheu, nie hält es länger in einer Menge aus und macht sich schnell davon. Jemand hustete, ein anderer schluckte vernehmlich, und irgendwer flüsterte und verbarg ein Kichern in den Händen. Davið schloss die Augen und dachte, ich halt das nicht mehr aus, ich bin gar nicht hier, aber Elisabet erhob sich langsam. Sie drehte sich um, blickte über den abgedunkelten Saal und wollte offenbar etwas sagen, betrachtete uns, bedachte sich, das Gemurmel erstarb, das Grinsen verschwand, wir sahen sie an, denn da stand sie, gerade vierundzwanzig Jahre jung, im dunklen Samtkleid, das lange, schwarze Haar über die Schultern herabreichend, schwarzbraune Augen, keine gleißende Schönheit, aber sie hat etwas, dachten wir, Teufel, sie ist doch nicht nackt unter dem Kleid – und alles verlangsamte seinen Lauf. Der Himmel verstummte über dem Gemeindezentrum, das Blut in uns floss langsamer, nur diese Frau da vorn war noch von Bedeutung. Das auf die Bühne gerichtete Licht schien sie zu suchen, es griff mit weichen, fast durchsichtigen Händen nach ihr, sie trug ein schwarzes Samtkleid, das nur ihre Brüste zu halten schienen oder ein zwischen Samt und Brustwarzen schwach fließender Strom. Himmel und Hölle, dachte jemand in ohnmächtiger Verzweiflung, gleich rutscht ihr das Kleid runter und hält erst wieder auf den Hüften; lieber Gott, bitte lass es geschehen, lass das Kleid rutschen, gönn meinen Augen etwas Schönes, denn vor uns liegt ein langer Winter. Liederliches
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