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Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman

Titel: Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson , Karl-Ludwig Wetzig
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Flittchen, Schlampe, Lustritze, zischten die fünf Frauen einander zu, und da öffnete der Astronom den Mund und sagte: Alles umfasst der Atem des Himmels.
    Ein solcher Satz bedeutet alles oder nichts, nur wussten wir nicht, was von beiden. Da stand Elisabet, man konnte keinen klaren Gedanken fassen, keinen Satz verdauen, doch dann setzte sie sich, und der Astronom fuhr, überlegt und zugleich so passioniert, dass es uns an die besten Zeiten der Strickfabrik erinnerte, fort: Die Weite des Himmels ist groß, sie enthält den Anfang und das Ende. Seine Stimme klang weich und dunkel, wie ein Samtkleid.
    So also fing es an.
    Seit bald zehn Jahren gehen wir nun einmal im Monat zu dem Weisen hinter dem Pult auf dem Podium des Gemeindezentrums. Neun Jahre, so vergeht die Zeit, manchmal wachen wir im Zelt in der Morgenstille von einem wehmütigen Flöten auf, schauen hinaus und sehen, dass Frost am Himmel ist.
    Doch obwohl jener Oktoberabend vor neun Jahren die ganze Weite des Weltalls umspannte und ein dunkles Samtkleid, ging die Zahl der Zuhörer im Lauf des Winters allmählich zurück, zum Frühling hin war es schon viel, wenn zehn Leute erschienen, um dem Ticken der Uhren des Alls im Vortrag des Astronomen zu lauschen, und auf diesem Stand ist es in etwa geblieben. Sicher hätten wir besser zuhören sollen, es drückt uns ein wenig das Gewissen deswegen, noch ein verdammter Gewissensbiss mehr, aber man darf ja auch nicht vergessen, dass wir so viel zu tun haben, der Schnee des Alltags fällt dicht. Man muss die Kinder ins Bett bringen, nach langem Arbeitstag die Wohnung aufräumen, die Zeitung durchblättern, Türen streichen, das Auto durchsehen, jemanden anrufen, vielleicht kommt Einblick/Ausblick im Fernsehen, vielleicht ein Spiel in der Champions League, und die Spieler von Real Madrid sind vielleicht doch ein bisschen lebhafter als der Vortrag des Astronomen. Wir schauen schon mal vorbei, wenn sonst nichts los ist, kein Spiel, ein Bein der Tischtennisplatte abgebrochen, der Kaffee im Kiosk abgestanden, wenn man schon dreißig Runden durchs Dorf gedreht und oft genug den neuesten Klatsch durchgekaut hat und die beneidet, die DSL haben, einen eigenen Heißwasserpool, eine gute DVD-Sammlung. Dann stecken wir die Nase zur Tür hinein, hören den Himmel in den Worten des Astronomen atmen, holen uns Kaffee und Schnittchen bei Elisabet, sehen sie an und fragen uns, ob sie unter der Bluse, dem Pullover oder dem Kleid vielleicht barbusig ist, und wenden uns dann wieder dem gespensterbleichen Gesicht des Astronomen zu, der mit den Jahren immer hagerer geworden ist, die schmale Nase wirkt noch schärfer und von der Seite wie ein Axtblatt. Die zehn Hände kommen gar nicht mehr, die Sterne sind zu weit weg, wir wollen uns mit Dingen beschäftigen, die uns näher liegen, sagen sie und behaupten obendrein, Männer würden die Vorträge nur besuchen, um Elisabets Brüste anzustarren, sie gieren danach, dass sie ihnen einen Blick zuwirft und dabei die Zungenspitze zwischen ihren feuchten Lippen sehen lässt, dieses Flittchen, nichts als durchtrieben und weiß genau, dass alle Kerle immer nur das eine wollen.
    Auf den Astronomen hat der spärliche Besuch keine Wirkung, er ist genauso inspiriert, ob er nun vor zwei oder vor fünfzig Zuhörern vorträgt, und auch wenn wir ziemlich unregelmäßig hingehen, sind wir mit den Vorträgen mehr als zufrieden, ja, stolz auf sie, sie geben dem Ort einen kultivierten Touch, sind eine willkommene Ergänzung des gesellschaftlichen Lebens. Es ist nicht leicht, die Abende in einem 400-Seelen-Kaff mit Leben zu füllen; sieben oder acht Bälle veranstalten wir im Jahr, ansonsten gibt es gemeinsame Whistabende, Bingo und Kiddis Filmvorführungen.

Acht
    An guten Tagen nennen wir Kiddi unseren Filmstar, denn als er noch richtig jung war, hat er eine kleine Rolle in Friðrik Þór Friðrikssons Weiße Wale gespielt und kennt die Branche in- und auswendig. Vorführungen gibt es von September bis Mai jeweils am ersten und dritten Donnerstag eines Monats, das entsprechende Filmplakat hängt ab Sonntag aus, und das Programm, von Kiddi selbst verfasst, ist für 300 Kronen am Kiosk zu haben. Darin informiert er über den Regisseur und die Schauspieler, manchmal auch über den Kameramann und den Cutter oder sogar über den Inhalt des Films. Etwa um 1990 hat Kiddi den Job vom alten Geir übernommen, der uns bis dahin über zwanzig Jahre lang Filme vorgeführt hatte, immer mit dem gleichen Projektor, den er auf

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