Sommerlicht, und dann kommt die Nacht: Roman
Scheuerlappen, aber sie sorgte gut für ihren Sohn, der Somnium oder Nachrichten von den Bewohnern des Mondes schrieb, eben das Buch, das den Astronomen die Langmut seiner Frau kostete; die Finger zittern ein wenig, wenn wir an sie zurückdenken. In jenem Buch wird von Männern erzählt, die zum Mond reisen. Der Start erfolgt in Island. Der Astronom übersetzte und las die Passagen, die hier bei uns in Island spielen, Kepler lebte im 17. Jahrhundert, damals lag Island am Rand der bekannten Welt und drohte ganz von den Landkarten zu kippen. Unsere Schulleiterin Sölrün ließ die Kinder nach der Geschichte malen, und im nächsten Frühling wurden die Bilder ausgestellt. Allerdings ließ Sölrün die Kinder nicht über schwarze Löcher arbeiten, die kaum als sonderlich kindgerecht gelten können. Schwarze Löcher sind schlimmer als Freigeisterei, schlimmer als die USA, schlimmer als der Treibhauseffekt, schwarze Löcher sind gestorbene Sonnen, die zu ihrer Zeit vielfach größer waren als unsere eigene, und dabei hat man die auch Gottes Auge genannt. Sie erleuchten ihre Gegend des Universums für Jahrmillionen, fallen dann zu einem kleinen, nachlassenden schweren Punkt zusammen und verwandeln sich in ein schwarzes Loch. Die Geschichte der schwarzen Löcher, heißt es in der Broschüre, erinnert unweigerlich an die Geschichte von Luzifer, dem hellen Engel, der hinab in die Hölle geworfen wurde, und was hell war, wurde dunkel, das Heilige wurde zum Satanischen. Womöglich sind schwarze Löcher Teufelswerkzeug, die schrecklichsten Waffen im ewigen Widerstreit mit Gott, der uns mittlerweile so fern steht, dass wir uns tiefer Hoffnungslosigkeit kaum mehr erwehren können.
Prosit!, sollte man darauf sagen, vade retro, Satanas, oder auch: Mehr Licht!
Das Meer ist tief, es wechselt die Farben und scheint zu atmen. Gut, dass wir das Meer hier haben, denn manchmal vergehen Tage, ohne dass etwas geschieht, und dann blicken wir über den Fjord, der erst blau wird, dann grün und schließlich dunkel wie das Ende der Welt. Wenn es zutrifft, dass der Stillstand der Traum der Geschwindigkeit ist, dann sollten wir vielleicht ein Sanatorium für stressgeplagte Städter einrichten, und dabei denken wir nicht bloß an Reykjavik, sondern auch an London, Kopenhagen, New York und Berlin: »Kommt dahin, wo rein gar nichts passiert, wo sich nichts bewegt bis auf das Meer, die Wolken und vier Katzen!« Die Anzeige würde nicht ganz der Wahrheit entsprechen, aber welche Reklame tut das schon? Wer in der Werbebranche arbeitet, muss uns davon überzeugen, dass das Überflüssige Wert besitzt, und es scheint hervorragend zu funktionieren, denn unser Leben füllt sich allmählich mit unnötigen Dingen und vertanen Stunden, Luxus und Bequemlichkeit überhäufen uns, dass kaum noch der Kopf herausschaut.
In früheren Zeiten fürchteten Menschen nichts so sehr wie den Mangel, Hunger, Armut und Kälte, sie träumten von Annehmlichkeiten, weniger harter Arbeit, weniger Nässe und Kälte, davon, Zeit für sich selbst zu haben; sie haben sich totgeschuftet, wohnten in dunklen, manchmal modrigen Behausungen, es gab kaum Ärzte, noch weniger Bildungseinrichtungen, die Menschen starben jung, hatten oft nur wenige schöne Stunden im Leben, leben hieß, sich durchzuschlagen. Du weißt, wie es heute ist. Wir haben alles, wovon unsere Vorfahren nur träumen konnten, wir leben bedeutend länger, sind gesünder, kennen keinen Hunger, außer wenn wir Diät machen oder lange im Stau stehen, machen uns Sorgen über die Figur, vergrößern oder verkleinern unsere Brüste, kämpfen gegen die beginnende Glatze, gehen ins Solarium, wir wollen ebenmäßigere Zähne und mehr Kochrezepte, viele arbeiten zu viel, und bei den Männern richtet sich die Länge des Glieds nach der Länge ihrer Arbeitszeit. Es geht uns gut, und doch geht es uns nicht gut, denn was sollen wir mit all diesen Tagen anfangen, mit dem Leben überhaupt, schwierig, das herauszufinden. Wozu leben wir? Unser Strand immerhin ist schön, geschwungen wie ein Bogen, fast einen Kilometer lang, und es beruhigt, da zu stehen und auf etwas zu schauen, das größer ist als man selbst. Irgendwo heißt es, das Meer sei ewig, doch das ist leider totaler Schwachsinn, denn alles verändert sich, selbst Sonnen sterben, Meere trocknen aus, bedeutende Menschen werden vergessen; im Vergleich mit dem Menschenleben allerdings erscheint das Meer ewig. Und vor bald dreißig Jahren hatten wir auch das Gefühl, die
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