Sommermaerchen
Sie recht haben. Darf ich Sie wenigstens nach Hause begleiten?“
Beatrice überlegte. Mehr Zeit mit ihm zu verbringen, könnte ihrem Ansehen schaden und ihrem Herzen gefährlich werden. Allerdings waren sie Nachbarn, wie sollte sie da sein Angebot ablehnen? „Tja, dagegen spricht wohl nichts, da wir ohnehin denselben Weg haben.“
Er setzte Egremont auf den Boden, und sie gingen weiter.
Einige Minuten schritten sie schweigend nebeneinander her. Beatrice wandte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit den Bäumen, Vögeln und dem Gras zu – allem, nur nicht ihm. Wenn sie ihn nur anblickte, spürte sie ein Flattern in der Magengrube.
Schließlich sagte er: „Meine Mutter erwähnte, sie hätte Sie zu ihrer Dinnerparty eingeladen.“ Er hoffte, es klang beiläufig, obwohl er gespannt ihre Antwort erwartete. Mehrere schlaflose Nächte hatte er sich vorgestellt, welche reizenden Möglichkeiten der Verführung sich boten, wenn sie sich erst einmal in seinem Haus befände: in der Bibliothek ... auf der Terrasse ... im Garten. Zwar war es auch das Haus seiner Mutter, aber an Erfindungsreichtum mangelte es ihm nicht.
Beatrice errötete. „Ja, das hat sie.“ Sie wünschte erneut, dass sie von dieser Gesellschaft fernbleiben konnte, aber sie wollte ihr Versprechen nicht brechen. Dazu mochte sie Lady Pelham zu gern.
Charles spürte ihr Zögern und ahnte, dass sie überlegte, wie sie absagen konnte, weil sie befürchtete, ihm dort zu begegnen. „Ich werde wahrscheinlich nicht anwesend sein. Meine Mutter gibt solche Gesellschaften des Öfteren. Sie ist der Auffassung, wenn sie Lucys Verehrer in einem Raum versammelt, sporne dies die Gentlemen an, sich die Gunst meiner Schwester zu sichern, indem sie ihr einen Antrag machen. Es ist ein wenig beängstigend, muss ich zugeben.“
Beatrice lachte. „Dann verstehe ich durchaus, warum Ihre Mutter und meine Tante Freundinnen sind. Tante Louisa setzt ebenfalls alles daran, mich unter die Haube zu bringen, aber wenn dies die erste Saison Ihrer Schwester ist, muss sie sich doch nicht sorgen. Haben Sie noch weitere Geschwister?“
Beatrice sah, wie ein angespannter Ausdruck über sein Gesicht huschte, ehe er antwortete. „Nein.“ Er schwieg einen Moment. „Wie steht es mit Ihnen? Ich bin flüchtig mit Ihrem Bruder bekannt. Wir besuchten dieselbe Schule.“
„Ja. Ben ist fünf Jahre älter als ich. Außerdem habe ich noch zwei jüngere Schwestern. Eleanor ist sechzehn und Helen dreizehn, und wenn man meiner Tante Glauben schenkt, wird sie unser aller Tod sein.“
Er lachte. „Dann ist Helen wohl ein kleiner Wildfang?“
Beatrice nickte. Sein charmant verwegenes Grinsen ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Oh ja. Das liegt wohl daran, dass sie das Nesthäkchen ist. Unsere Mutter starb bei ihrer Geburt, und Helen wurde viel nachgesehen.“ Errötend wurde ihr bewusst, dass sie viel zu viel von sich erzählt hatte. „Bitte entschuldigen Sie. Ich wollte Sie nicht mit diesen Geschichten langweilen.“
„Das tun Sie nicht“, sagte Charles und fand sie ganz reizend. Die Sonne brachte ihr Gesicht zum Strahlen, und ihre Fröhlichkeit war ansteckend. Er konnte nicht umhin zu lächeln. „Sie stehen Ihren Geschwistern wohl sehr nahe?“
Sie erwiderte sein Lächeln. „Ja, mir ist meine Familie sehr wichtig, auch wenn wir alle sehr unterschiedlich sind.“
Sie erreichten das Ende des Weges, und Charles wusste nicht, welcher Teufel ihn ritt, dass er sagte: „Ich hatte auch einmal einen Bruder.“
Sie sah ihn überrascht an. „Oh, das tut mir leid. Das wusste ich nicht.“
Er zuckte mit den Schultern. Gewöhnlich sprach er nicht über seinen Bruder, weil es zu viele schmerzliche Erinnerungen weckte. „Das muss Ihnen nicht leidtun. Er starb vor langer Zeit.“
„Darf ich fragen, was geschehen ist?“, fragte Beatrice leise.
Seine Miene wurde undurchdringlich. „Er war zwei Jahre jünger als ich. Sein Name war Mark. Er und mein Vater wollten mich in Eton besuchen und verunglückten unterwegs mit der Kutsche. Ich war damals fünfzehn.“
Unwillkürlich legte Beatrice ihm eine Hand auf den Arm. „Das tut mir leid. Sie müssen nicht weitererzählen, wenn die Erinnerung zu schmerzlich für Sie ist.“
Er wandte den Blick ab. Nun, da er davon angefangen hatte, war es ihm ein Bedürfnis, ihr davon zu erzählen. „Es ist schon gut. Mark war auf der Stelle tot. Mein Vater wurde nach Eton gebracht, der Unfall geschah ganz in der Nähe der Schule. Er lebte noch eine
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