Sommermaerchen
Dinnerpartys, Gesellschaften und Bällen, die einzig dem Zweck dienten, sich einen Gatten zu angeln. Gewiss wäre dies leichter zu ertragen gewesen, wenn sie wenigstens für einen der Gentlemen, die sie bei diesen zahllosen gesellschaftlichen Anlässen traf, freundschaftliche Gefühle empfunden hätte. Tatsächlich aber fiel es ihr schwer, für die meisten der Herren auch nur die leiseste Sympathie aufzubringen.
Nach dieser ersten Saison hatte Beatrice resignierend erkannt, wie weit bei der Gattensuche Wirklichkeit und Wunschtraum auseinanderklafften und dass es nur von Vorteil war, wenn man keine allzu romantischen Vorstellungen hegte. Wo war in der realen Welt der stattliche, geheimnisvolle, attraktive Kavalier ihrer Träume, der zudem über breite Schultern, messerscharfen Verstand und geistreichen Humor verfügte? Ganz eindeutig existierte er nicht. Wenn sie lernte, diese Tatsache zu akzeptieren, konnte die Realität sie nicht mehr enttäuschen.
Bedauerlicherweise kam sie zu spät zu dieser Erkenntnis. Da sie die Heiratsanträge mehrerer Verehrer abgewiesen hatte, galt sie nach ihrer ersten Saison als „Eisblock“.
In ihrer zweiten und dritten Saison umwarb man sie daher kaum noch.
Aus diesem Grund hatte sie zwei Jahre auf dem Landsitz ihrer Familie verbracht, und nun – älter, klüger und geläutert – war sie bereit, sich einer weiteren Saison zu stellen. In diesem Jahr ging sie indes planvoll vor. Um ihre romantischen Fantasien in gewissem Maß ausleben zu können, hatte Beatrice im weisen Alter von dreiundzwanzig Jahren das Tagebuchschreiben aufgegeben und beschlossen, einen Roman zu verfassen. Auf diese Weise, so hoffte sie, konnte sie sich den Helden ihrer Träume erschaffen und die graue, stumpfsinnige Realität leichter ertragen.
Leider funktionierte ihr Plan nicht ganz so wie erwartet, aber die Saison hatte auch erst vor wenigen Wochen begonnen.
„Beatrice, das dulde ich nicht.“ Beatrices Großtante war ins Zimmer getreten und funkelte sie verärgert an.
Selbst wenn sie guter Laune war, bot Lady Sinclair dank ihrer großen hageren Gestalt, dem stahlgrauen Haar, den stahlgrauen Augen und der langen Nase einen Respekt einflößenden Anblick. War sie jedoch in Rage, bekam das Wort
„einschüchternd“ eine völlig neue Bedeutung. Mit einem einzigen Kräuseln der Lippe konnte Tante Louisa selbst in den tapfersten Herzen Furcht erwecken. Beatrice indes ließ sich nicht erschrecken, weil sie wusste, dass ihre Tante unter der rauen Schale –
wenngleich auch gut verborgen – einen weichen Kern besaß. Im Grunde genommen war Lady Sinclair eine großzügige, fürsorgliche Frau, der ihre Familie über alles ging.
Obwohl Beatrice befürchtete, zu wissen, worüber ihre Tante verärgert war, fragte sie nach, um Zeit zu gewinnen. „Bitte entschuldige, Tante Louisa, was duldest du nicht?“
Lady Sinclair schnaubte unfein. „Deine Schwester hat mir soeben mitgeteilt, du willst nicht an Lady Teasdales Ball teilnehmen. Warum erfahre ich das nicht von dir?“
Schuldbewusst setzte Beatrice zu einer Erklärung an: „Nun, Eleanor erzählte, in der Drury Lane werde König Lear aufgeführt und sie habe keine Begleitung ...“
„Du hast mir versprochen, Lady Teasdales Ball zu besuchen. Außerdem ist Eleanor erst sechzehn, sie hat noch lange genug Zeit ins Theater zu gehen. Ich hätte mich nie mit ihrem Besuch einverstanden erklären sollen, auch wenn es nur für wenige Wochen ist. König Lear, pah.“ Lady Sinclair rümpfte die Nase. „Ein Mann mit drei Töchtern und schau, welches Ende es mit ihm genommen hat. Ein solches Stück wird Eleanor nichts als Flausen in den Kopf setzen. Ich bin nur froh, dass Helen nicht ebenfalls in London weilt.“
„Ich denke, du übertreibst ein wenig, Tante. Meine beiden Schwestern und ich sind unserem Vater aufrichtig zugetan, und ich kann dir versichern, dass Eleanors Motive rein unschuldiger Natur sind. Sie geht einfach gern ins Theater, das ist alles.“
Lady Sinclair verdrehte die Augen. „Kommen wir zum Punkt zurück, Beatrice. Eleanor weiß, wie gerne du dich vor dem Ball der Teasdales drücken würdest. Offenbar denkt sie, da sie zu jung ist, um daran teilzunehmen, mache es nichts aus, wenn du ihn ebenfalls versäumst.“
„Ist dem so?“, fragte Beatrice hoffnungsvoll.
Lady Sinclair blickte sie in gespielter Ungläubigkeit an. „Hast du dich etwa heimlich vermählt, ohne mir etwas davon zu erzählen, Beatrice Sinclair? Natürlich macht es etwas aus,
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