Sommermaerchen
Charles bot ihr seinen Arm.
Sie nickte, hakte sich bei ihm unter und ließ sich zur Haustür geleiten.
„Ich komme nicht mit ins Haus.“
Beatrice nickte erneut. Sie hatte nicht erwartet, dass er mitkam. Aber sie hatte auch nicht erwartet, dass er sie noch einmal küssen würde, dennoch hatte er es getan –
behutsam und liebevoll, wenn auch viel zu kurz.
Als Charles sich von ihr löste, hätte er beinahe aufgestöhnt vor Schmerz, so sehnsüchtig blickte Beatrice ihn an. Ebenso wie sie sehnte er sich nach weiteren Zärtlichkeiten.
Nur noch zwei Tage .
Er tippte an seinen Hut und ging.
Beatrice sah ihm völlig verwirrt nach. In der einen Minute gab er sich ihr gegenüber ausgesprochen kühl und dann wiederum vermittelte er ihr das Gefühl, doch etwas für sie zu empfinden. Sie wünschte, er wäre beständiger in seinem Benehmen ihr gegenüber.
20. KAPITEL
Trotz ihrer Unruhe gähnte Beatrice, als sie an ihrem Hochzeitsmorgen in ihrem Zimmer wartete. Die Nacht zuvor hatte sie kaum Schlaf gefunden, hatte immer wieder über ihr Gespräch mit Charles und über ihren – nein, seinen – Beschluss nachdenken müssen. Die Tatsache, dass er einen solch absurden Vorschlag überhaupt gemacht hatte, wies darauf hin, dass er eine Affäre plante. Vielleicht nicht unverzüglich, aber irgendwann.
Beatrice ging zum Fenster. Die Sonne schien, und es versprach ein schöner Sommertag zu werden. Es war beinahe zehn Uhr, und sie war froh, dass die Zeremonie am Vormittag stattfinden sollte. Sie wollte es endlich hinter sich bringen.
Charles hatte mitteilen lassen, dass sie nach der Trauung sofort zu seinem Landsitz nach Kent aufbrechen würden. Wahrscheinlich, dachte Beatrice sarkastisch, weil er so viel Abstand wie möglich zwischen sich und meine Familie bringen will.
Dennoch war sie froh, die Stadt verlassen zu können. Auch sie war nicht darauf erpicht, Familie und Freunden gegenüberzutreten. Allerdings fragte sie sich, was sie in Pelham House erwarten würde. Eine Hochzeitsnacht im wahrsten Sinne des Wortes? Beatrice wusste nicht einmal, was während einer Hochzeitsnacht geschah, sie hatte keine Mutter, die es ihr erklären könnte, und ihren Vater würde sie gewiss nicht danach fragen.
Es klopfte an der Tür, und Meg steckte den Kopf ins Zimmer. „Alle haben ihre Plätze eingenommen. Sind Sie bereit, Miss Beatrice?“
„So bereit, wie man nur sein kann.“ Beatrice wandte sich vom Fenster ab, und Meg eilte zu ihr, um ihr Haar und ihr Kleid zu richten.
„Wie fühlen Sie sich?“
Beatrice zuckte mit den Schultern. „Mir ist mulmig, Meg. Ziemlich mulmig.“
„Das ist nur allzu verständlich. Soll ich mit Ihnen hinunterkommen?“ Verloren nickte Beatrice. Sie stiegen die breite Treppe hinunter, und ihr war zumute, als ginge sie in ihr Verderben. Der glänzende Knauf der Eingangstür zog ihren Blick magisch an, verlockte sie zur Flucht. Wäre Meg nicht an ihrer Seite gewesen, hätte sie der Verlockung nachgegeben und wäre geradewegs hinausgerannt. Stattdessen folgte sie den Stimmen ihrer Gäste in den Salon.
Sie sah Charles, der sich offenbar ziemlich unbehaglich fühlte, weil ihre Familie ihn mit bösen Blicken bedachte und niemand außer Helen mit ihm sprach. Lady Pelham und Lucy machten einen besorgten Eindruck.
Während Beatrice zu ihrem Bräutigam schritt, war ihr, als hätte sich ihre Seele von ihrem Körper gelöst. Eine leise Stimme bat sie unaufhörlich, stehen zu bleiben.
Doch sie ging weiter, bis sie an Charles’ Seite stand. Er ergriff ihre Hand, und der Pfarrer vollzog die Trauung.
Worte, noch mehr Worte. Ja, ich will. Ja, ich will. Ein Ring, der über ihren Finger gestreift wurde.
Dann war alles vorbei. Sie waren vermählt.
Nach der Zeremonie nahmen sie einen leichten Lunch im Speisezimmer ein, danach wandte Charles sich zu ihr und sagte: „Beatrice, lass uns gehen. Ich ertrage diese verfluchte Tortur nicht länger.“ Er stand auf und streckte ihr die Hand hin.
Seine Mutter bemerkte es. „Wollt ihr schon aufbrechen?“
Charles nickte knapp. Beatrice ergriff seine Hand und stand ebenfalls auf. „Ja, sicherlich kommen wir sonst erst sehr spät abends an“, sagte sie verlegen.
Ihr Unbehagen spürend meinte ihr Vater: „Natürlich, wir bringen euch zur Tür.“
Die Kutsche wartete bereits, ihre Koffer waren schon am Morgen gepackt und eingeladen worden. Meg würde ihnen später in einer anderen Kutsche nachreisen.
Und das bedeutet, dass ich mehrere Stunden allein im Wagen mit Charles
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