Sommermond
nicht, was die Typen von ihm wollten. Er wusste nicht einmal, ob Tag oder Nacht war.
Sein Durst wurde mit jeder Minute stärker und sein Speichelfluss ging immer weiter zurück. Vielleicht waren das die Nebenwirkungen des Betäubungsmittels, das er über das Taschentuch eingeatmet hatte. Alex wusste es nicht. Er wusste nur, dass er sich miserabel fühlte und sich hilflos vorkam. Außerdem wurde ihm kalt. Seine Fingerspitzen wurden allmählich taub. Er hoffte inständig, dass Ben noch in Hamburg war. Die Kripo hatte die Richters dazu aufgefordert, möglichst schnell nach Flensburg zurückzufahren. Doch wenn Ben bereits abgereist war, hatte sich damit auch Alex‘ letzte Hoffnung entfernt. Ben war vermutlich der Einzige, der sich aufrichtig um ihn sorgte und im schlimmsten Fall alles Erdenkliche tun würde, um ihn zu finden.
Alex wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Immer wieder stiegen ihm wirre Gedanken zu Kopf, die dafür sorgten, dass er sich halb wahnsinnig fühlte. Es war absurd, dass er nun hier festsaß. Es war absurd, dass er dem Spanier schon wieder 40.000 Euro schuldete, obwohl er das Geld erst vor ein paar Tagen zusammenbekommen und abgeliefert hatte. Ben hatte sogar sein Leben dafür aufs Spiel gesetzt. Doch all das schien umsonst gewesen zu sein. Der Pokerclan bewegte sich längst nicht mehr auf dem Niveau einer kriminellen Bande, sondern erinnerte Alex schon fast an eine Mafia, mit der man sich besser niemals hätte anlegen sollen. Sie hatten ihn entführt, um ihm zu verdeutlichen, wie ernst es ihnen war; um ihm zu zeigen, dass der größte Fehler, den er begehen konnte, es gewesen war, die Polizei hinzuziehen. Trotzdem wusste er nicht, was sich die Kerle von seiner Entführung versprachen. An das Geld würden sie auf diese Weise nicht gelangen.
Alex schluckte. Bei jeder Bewegung brannte seine Blase. Er musste dringend pinkeln, wollte sich aber nicht demütigen und irgendwo in die Ecke pissen, die schlimmstenfalls einen Teil seines künftigen Schlafplatzes darstellte. Also hielt er dem Druck weiterhin stand und versuchte zwanghaft an etwas anderes zu denken. Sein Hauptgedanke lag dennoch bei Ben. Es tat ihm leid, wie er ihn an der Elbe hatte stehen lassen. Ben hatte starke Schmerzen gehabt und Alex hatte sich verantwortungslos verhalten. Der Dunkelhaarige war ständig für ihn da und immer dann, wenn Ben ihn brauchte, ignorierte Alex diese Tatsache, die eigentlich selbstverständlich sein sollte.
„Scheiße …“, murmelte er und neigte den Blick zur Seite.
Mit seinen Fingern zog er Linien neben sich durch den Dreck. Als er seine Hand dann hob, um den Staub von seinen Fingern zu pusten, lenkte plötzliches Licht seine Aufmerksamkeit auf die Tür. Unter dem Stahl klemmte ein gelblicher Schein. Alex hörte Schritte und einen klirrenden Schlüsselbund. Unbewusst rutschte er noch dichter an die Wand und umklammerte seine Beine noch fester. Eigentlich hatte er geplant, aufzustehen, um sich mit den Typen anzulegen. Doch jetzt, wo sie sich dem Raum näherten, vergaß er all seinen Mut. Das Einzige, was noch blieb, war die Angst.
Sein Herz hämmerte wie wild gegen seine Brust. Als er hörte, wie jemand einen Schlüssel in die Tür steckte, hielt er einen Moment die Luft an. Der Schlüssel wurde laut umgedreht. Es knackte zweimal.
Alex presste seine Lippen zusammen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf die Tür. Er wusste nicht, was ihn erwartete. Diese Ungewissheit war unerträglich. Er bekam nur noch schlecht Luft und krallte sich mit seinen Fingern in den Stoff seiner Jeans.
Die Tür öffnete sich nach innen. Ein heller Lichtpegel fiel in den Raum und legte sich wie ein weißer Teppich über den Boden. Mitten im Licht vier Silhouetten. Alex musste sich erst an das Licht gewöhnen. Er blinzelte und versuchte die Gesichter zu erkennen. Dann sah er den Spanier, direkt hinter ihm drei Komplizen. Zwei von ihnen waren kräftig, einen recht dürr. Alex wagte es nicht, sich zu bewegen. Hinter den Männern sah er einen heruntergekommenen Flur, der nicht einmal gestrichen war. Graue Wände, betonierter Boden. Sonst nichts.
Der Spanier trug einen teuren Anzug und wirkte mit seinem eleganten Aussehen völlig fehl am Platz. Alex schaute ängstlich zu ihm auf. Der Spanier grinste schäbig und steuerte zielstrebig auf ihn zu. Die Komplizen bauten sich um ihn herum auf. Zwei von ihnen hatten eine Pistole, deren Läufe sie auf Alex richteten. Auch der Spanier hielt etwas in seinen Händen. Alex
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