Sommermond
alles.“
Erneut zuckte Juan mit den Schultern.
„Reiner Egoismus“, erwiderte er. „Das bringt mich dem Himmel ein Stück näher als der Hölle.“
Alex schloss seinen Mund und biss sich auf die Unterlippe. Dem konnte er nichts mehr hinzufügen.
Juan wandte sich schließlich ab und verließ den Raum. Leise zog er die Tür hinter sich zu und schloss sie ab. Seine Schritte entfernten sich und auch das Licht im Flur erlosch.
Alex blieb nachdenklich zurück. Seine Schmerzen waren besser geworden. Vermutlich wirkten die Tabletten. Vielleicht war es aber auch seine Psyche, die sein Schmerzempfinden ausgeschaltet hatte, nachdem er von dem weitaus schlimmeren Schicksal eines anderen Menschen erfahren hatte.
Jetzt fühlte er sich noch erbärmlicher als zuvor. Nicht deshalb, weil er miserabel zugerichtet worden war, sondern deshalb, weil er in seiner vergleichbar harmloseren Position kurz davor gewesen war, aufzugeben. Bislang hatte er immer geglaubt, dass er ein starker Charakter war. Nicht umsonst hatten ihn bislang viele in dieser Ansicht bestätigt. Zuletzt Bens Mutter. Doch im Vergleich zu Juan fühlte er sich schwach. Der altbekannte Satz, dass es immer jemanden gab, dem es schlechter ging, traf tatsächlich zu. Die menschliche Schicksalspyramide baute schleichend aufeinander auf, spitzte sich aber zum Ende so radikal zu, dass man sich manchmal eingestehen musste, wie gut man es doch selbst getroffen hatte.
So ging es jedenfalls Alex in diesem Moment. Er saß unter Schmerzen in einem dreckigen Kellerloch, in dem es nicht einmal ein Klo gab; er war übel zugerichtet und seine nahe Zukunft verhieß nichts Gutes. Doch im Allgemeinen war alles in Ordnung. Er hatte Trinken und Essen und lebte noch. Das war das Wichtigste. Er musste jetzt lediglich Ruhe bewahren und sich auf das böse Spiel einlassen. Und egal welche Rolle er in dem ihm bislang unbekannten Plan spielen sollte, er würde sie spielen. Er würde sie gut spielen. So gut, dass er den ganzen Mist schnell hinter sich lassen konnte, um sein eigentliches Leben wieder in den Griff zu bekommen. Denn diese Chance hatte er. Juan hatte sie nicht.
Erschöpft beugte er sich vor und griff nach der Wasserflasche. Er öffnete sie und nahm einen weiteren Schluck, bevor er sie behutsam zurücklegte. Fast so, als bestände sie aus zerbrechlichem Material.
Kalt war ihm noch immer. Deshalb legte er sich hin, schlang seine Arme um seinen Körper und kauerte sich so eng zusammen, wie er nur konnte. Er presste seine Knie an seine Brust und ließ das Schmerzmittel auf seinen Verstand wirken. Als er seine Augen schloss, drehte sich alles um ihn herum. Sein Hirn fühlte sich ausgewrungen an. Vor seinem inneren Auge erschien ein schwammiges Bild von Ben, das mit den nächsten Sekunde wieder verblasste. Die Farben vermischten sich miteinander und hinterließen eine weiße Leere, die auf eine seltsame Art und Weise beruhigend wirkte. Alex fühlte sich, als hätte er Drogen genommen. In seinem Kopf war dieser weiße See, vor dem er stand und in den er plötzlich hineinsprang. Seine Sorgen und Gedanken ließ er am Ufer zurück. Er spürte, wie seine Augäpfel unter seinen Lidern nach hinten rollten. Er wurde müde. So müde, dass er sich der Benommenheit dankend hingab und schließlich nichts mehr tat, als in dem Weiß des Sees zu schwimmen. So lange, bis er unterging.
***
Erst vernahm er nur Stimmen, die irgendwo in seiner Nähe murmelten. Dann folgte ein lauter Knall, der ihn binnen Sekunden hochschrecken ließ. Er riss die Augen auf und fand sich daraufhin auf der Matratze liegend gegenüber seinem großen Feind wieder. Direkt neben ihm seine Handlanger, die Alex in der kurzen Zeit schon fast vertraut geworden waren. Auch der Typ, der sich im Wegsein des Spaniers als wahrer Diktator entpuppt hatte, war da. Er spielte wie üblich mit seiner Pistole und ließ sie mit dem Abzug an seinem Zeigefinger baumeln.
Juan stand neben der Tür und hielt den Blick gesenkt. Der dicke Kerl war dieses Mal nicht dabei. Offensichtlich hatte der Spanier festgestellt, dass es keiner halben Armee bedurfte, um Alex zu zügeln.
Dieser schluckte einmal kräftig, bevor er sich aus seiner Seitenlage hochhievte und wie üblich mit dem Rücken zur Wand rutschte. Dabei warf er die Breischüssel um, deren Inhalt nun schleimig übers Bett kroch.
„Hatten wir etwa keinen Hunger?“, fragte der Spanier und trat ein Stück näher. Er grinste diabolisch. „Oder sind wir einfach Besseres vom werten Herrn
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