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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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halb zehn. Die Dunkelheit hatte den Bahnhof umschlossen und ließ ihn mit seinen vielen Lämpchen und Lichtern verspätet weihnachtlich erscheinen.
    Der Kerl auf der anderen Seite sah ihm erstaunlich ähnlich. Von der Kleidung versteht sich. Es schien fast, als ob Alex seinen Stil unbewusst kopiert hätte. Auch er trug einen grauen Pullover. Die Kapuze baumelte allerdings auf seinen Schultern. Auf seiner schwarzen Trainingshose führte ein schmaler, weißer Streifen über seine Beine bis zu einem Paar dunkler Turnschuhe.
    Alex tastete nach dem Koks in seiner linken und dem Geld in seiner rechten Tasche. Wie gebannt starrte er in Richtung des Kerls, der sich nun ein Handy an das eine Ohr klemmte und sich das andere zuhielt. Seine Lippen bewegten sich und formten erst Sätze, dann vereinzelte Worte. Nach gefühlten fünf Minuten legte er auf und schob das Handy zurück in seine Tasche. Er zog sich seinen Pullover glatt, richtete sich dann zu seiner vollen Größe auf und warf einen festen Blick in Alex‘ Richtung. Daraufhin zuckte dieser so erschrocken zusammen, als ob dieser Blick ein kräftiger Schuss gewesen wäre. Er taumelte an die steinerne Wand und presste seinen Rücken gegen sie. Die Kälte drang durch seinen Pullover und ließ ihn zittern.
    Die Lippen des Kerls formten ein hinterhältiges Grinsen. Er schien Alex‘ Angst zu bemerken und seine Erhabenheit auszukosten. Und dann bewegte er sich plötzlich vorwärts und steuerte geradlinig auf ihn zu. Alex starrte ihn mit weit aufgerissenen Augen an und versuchte seinen Verstand von seiner Angst abzulenken, indem er sich auf den Schmerz in seinem Fuß konzentrierte. Das funktionierte sogar. Er hörte auf zu zittern und schaffte es wieder, normal zu atmen.
    Die Gestalt des fremden Kerls wurde immer klarer. Er hatte ein markantes Gesicht, kurze, dunkelblonde Haare und Nasenlöcher, die sich bei jedem Atemzug unter der breiten Nase weiteten. Seine ebenso breiten Lippen presste er fest über seinem spitzen Kinn zusammen und blieb nur wenige Schritte vor Alex stehen. Seine Hände hingen in den Taschen seines Pullovers.
    Alex musste kräftig schlucken. Der Kerl war zwar nicht besonders groß, könnte dafür aber zweifelsohne als dritter Klitschko-Bruder durchgehen. Er sah russisch aus.
    „Ist was?“, fragte Alex und überraschte sich selbst mit dieser forschen Art.
    Der Kerl kaute lässig auf einem Kaugummi.
    „Offenbar ja“, sagte er.
    Er sprach klares Deutsch.
    Alex fühlte das viele Geld in seinen Taschen. Im Geiste sah er sich schon an die Wand gepresst, während der Kerl es ihm abnahm. Irgendwie war das ja auch der Plan. Theoretisch. Ob er praktisch genauso funktionierte, bezweifelte Alex plötzlich.
    „Und was?“, gab er schließlich zurück.
    „Nun“, meinte der Kerl, sah kurz zu beiden Seiten und trat noch einen Schritt näher auf ihn zu. „Wie es ausschaut, vertickst du Drogen.“
    Alex‘ Stirn legte sich in Falten. Der Kerl sprach nicht wie ein Krimineller, sondern wie Oberkommissar Wagner, wenn dieser seine penetranten Äußerungen hervorbrachte.
    Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Diese Details hatte er nicht dem Spanier besprochen. Wie auch? Zu dieser Situation hätte es in zahlreichen, unterschiedlichen Varianten kommen können.
    „Kannst du das irgendwie beweisen?“, fragte er dann.
    Der Kerl lachte schal auf und schmatzte weiter auf seinem Kaugummi.
    „Bist neu hier, was?“
    Alex wurde unsicher. Der Kerl reagierte nicht wie erwartet und entpuppte sich als unberechenbar. Er sprach ruhig und nahezu freundlich.
    Alex zuckte unbeholfen mit den Schultern.
    „Komm!“, meinte der Kerl und nickte Richtung Ausgang. „Zisch ab!“
    „Wieso sollte ich?“, fragte Alex. „Ist das dein Bahnhof?“
    „Nein“, erwiderte der Kerl. „Aber mein Terrain .“
    Alex nickte kaum merklich. „Verstehe“, sagte er dazu.
    Seine Aufregung war gänzlich verschwunden. Er drückte sich von der Wand und klopfte sich etwas Staub vom Pullover. Der Kerl musterte ihn durchdringlich. Alex schob seine Kapuze vom Kopf und warf einen festen Blick zurück.
    „Mehr nicht?“, hakte er nach.
    Der Typ schien zu verstehen, wovon er sprach und schüttelte den Kopf.
    „Hau einfach ab und zieh‘ deinen Scheiß woanders durch!“, meinte er. „Wir wollen ja keine unnötige Aufmerksamkeit erregen.“
    Alex nahm die Worte auf und nickte geistesabwesend. Er schaute den Russen ein letztes Mal an, bevor er sich an ihm vorbeidrängelte und sich auf den Weg Richtung

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