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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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aus der Villa eilen würde. Doch das wollte er nicht. Plötzlich fühlte er sich wie auf der Flucht, als er den Schlüssel in die Zündung steckte und den Motor anschmiss. Schnell löste er die Handbremse, machte die Scheinwerfer an, lenkte den BMW rückwärts von der Einfahrt und fädelte sich so rücksichtslos auf die Elbchaussee, dass ein anderer Wagen stark bremsen musste und laut hupte. Alex warf einen flüchtigen Blick in den Rückspiegel, machte eine grobe, entschuldigende Geste und gab schließlich Gas. Sein Motor surrte laut auf. Er schaltete vom ersten in den zweiten, dann vom zweiten in den dritten und schließlich in den fünften Gang. Die Kapuze hing noch immer über seinem Kopf. Doch mit einem Mal gab sie ihm nicht mehr das gewünschte Gefühl von Sicherheit. Deshalb zog er sie herunter und versuchte sich auf den Straßenverkehr zu konzentrieren. Das gelang ihm nur halb. Immer wieder musste er an den Inhalt seiner Taschen denken und fühlte sich dabei kriminell und auffälliger als sonst. Es kam ihm vor, als ob ihn die anderen Autofahrer kannten und wussten, was er vorhatte. An jeder Ampel warf er einen hektischen Blick von links nach rechts und musterte die verschiedenen Fahrer. Wenn sie zurückschauten, hatte er das Gefühl, sie würden durch ihn hindurchsehen. Dann verschwammen ihre Gesichter und ein grausames Grinsen bildete sich auf ihnen, mit dem sie Alex zu verstehen gaben, dass sie tatsächlich alles wussten. Ausnahmslos alles.
    Alex kniff seine Augen fest zusammen und öffnete sie wieder. Erst dann erkannte er, dass die anderen Autofahrer ganz normale Menschen waren, die sich mit ihren Beifahrern unterhielten, Musik hörten oder rauchten. Das war das Stichwort. Während er eine Kreuzung überquerte, klappte er das Handschuhfach auf und wühlte so lange in ihm herum, bis er eine leicht zerknautschte Schachtel zu fassen bekam. Er legte sie auf seinen Schoß, pulte sich eine Zigarette heraus und klemmte sie zwischen seine Lippen. Gierig zündete er sie an und nahm mehrere kräftige Züge hintereinander.
    Er folgte der Willy-Brandt-Straße und fuhr am auf grauen Säulen gestützten Glaskomplex der Hamburger Schiffahrtsgesellschaft vorbei und überquerte eine Brücke, unter der das Wasser graubraun glänzte. Seine Hände umklammerten das Lenkrad so fest, dass er die Folgen seines Muskelaufwands bis in die Oberarme spürte. Zu seiner Rechten sah er den Laden „Airbrush Base Hamburg“ . Hinter dem Ladennamen prangte ein schrill buntes Panorama von Hamburg. Doch das lenkte Alex‘ Aufmerksamkeit nur kurz auf sich. Schnell schweiften seine Gedanken wieder ab und erinnerten ihn an das, worauf er sich eingelassen hatte. Zwar konnte er mittlerweile behaupten, mit dem Umgang krimineller Leute und grotesker Typen vertraut zu sein, aber dennoch wusste er nicht, auf was für Kerle er dieses Mal stoßen würde. Sie könnten gewalttätiger als Rafael, Diego und Ramon sein.
    Er hielt an einer Ampel, zog so stark an seiner Zigarette, dass nur noch der glühende Filter übrig blieb, und warf ihn aus dem Fenster. Als die Ampel orange leuchtete, fuhr er an und versuchte sich zusammenzureißen. Er musste sich dringend beruhigen. Ansonsten würde er seine Aufgabe nicht glaubhaft vollziehen können. Also schaltete er das Radio an. Auf dem ersten Sender lief Werbung, auf dem nächsten ebenfalls und auf dem letzten redete ein Nachrichtensprecher.
    „Verflucht!“, stöhnte Alex, der auf ablenkende Musik gehofft hatte, und schaltete das Radio wieder aus.
    Es war nicht mehr weit bis zum Bahnhof. Da er mit seinem BMW unterwegs war und diesen nicht vor den Augen der Dealer in der unmittelbaren Nähe des Bahnhofs abstellen wollte, entschied er sich dafür, in einer Seitengasse zu parken. Er folgte dem Verlauf der Straße noch eine Weile, bog dann ab und lenkte in die Lange Reihe . Dort tobte schon am frühen Abend das Nachtleben. Die Bars leuchteten in der Dunkelheit. In ihnen saßen die unterschiedlichsten Menschen. Die meisten waren Männer. Die meisten waren schwul . Das war zumindest Alex‘ Vermutung. Bis zum heutigen Tag hatte er den Stadtteil St. Georg weitestgehend gemieden. Zwar war er schon ein paar Mal durch die bunten Straßen gefahren, war aber bislang nie ausgestiegen. Es war nicht lange her, da hatte er Schwule gehasst, verachtet und sie gemieden, so gut er konnte – fast wie aus Angst, das Schwulsein könnte sich wie ein Virus auf ihn übertragen. Im Endeffekt war diese vom Virus bedingte Krankheit, die gar

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