Sommermond
meinte der Russe und nickte zum Bahnhof, „macht ständig Ärger. Das hätte für dich nach hinten losgehen können.“ Er pausierte kurz. „Eine Schlägerei, Polizei … Und die finden dann deinen ganzen Scheiß. Was glaubst du, was dann passiert, hm?“
Alex kannte die Antwort, zuckte aber lediglich mit den Schultern. Der Russe war seltsam und schwer definierbar. Irgendwie beängstigend, aber gleichzeitig sympathisch. Eine merkwürdige Mischung, bei der nichts Gutes herauskommen konnte.
Alex suchte nach Worten. Doch gerade als er etwas erwidern wollte, stürzte sich der Russe auf ihn, packte ihn am Kragen und zerrte ihn aus der Flut der Bahnhoflichter in eine dunkle Ecke. Er zog Alex so nahe an sich heran, dass ihre Gesichter sich fast berührten.
„Ich will hier keinen Ärger“, zischte er. „Verstehst du das?“
Wieder musste Alex schlucken. Das helle Gesicht des Russen war von dunklen Schatten umhüllt. Seine Augen stachen hervor wie dunkle Obsidiane.
Alex nickte kaum merklich. Als er dann für eine Sekunde an ihm vorbeispähte, sah er eine dunkle Gestalt in ihre Richtung rennen. Den dadurch veränderten Ausdruck seiner Augen schien der Russe zu bemerken. Er folgte Alex‘ Blick und drehte sich nach hinten. Dabei lockerte er den Griff an Alex‘ Kragen. Eine Hand ließ gänzlich von ihm ab und winkte die dunkle Gestalt zu sich.
„Sergej!“, rief der Russe. „Da bist du ja endlich!“
Der Kerl namens Sergej verlangsamte seine Laufschritte und kam röchelnd neben ihnen zum Halt.
„Ist er das?“, fragte er und deutete auf Alex.
„Das ist er“, bestätigte der Klitschko-Russe.
„Und was machen wir mit ihm?“, fragte Sergej.
Der Russe zuckte mit den Schultern. Er ließ so grob von Alex ab, dass dieser ein paar Schritte rückwärts taumelte und erst zwei Meter entfernt stehen blieb.
„Geben wir ihm noch ‘ne Chance“, sagte der Russe. „Für wenig Grips kann man ja bekanntlich nichts.“
Alex lauschte ihrem Gespräch und wusste, dass dessen Ergebnis für ihn sprach. Normalerweise. Aber normalerweise wäre er schon nach der ersten Drohung kein weiteres Mal in den Bahnhof zurückgekehrt. Normalerweise wäre er gar nicht erst dort hingegangen, weil er normalerweise keine Drogen vertickte. Aber seine Situation war alles anders als normal. Er durfte sich nicht verscheuchen lassen. Er musste die beiden Russen provozieren. So lange, bis sie handgreiflich werden würden, er dabei ungünstig stolperte und dabei die Einnahmen und das Geld des Spaniers aus seinen Taschen rutschen lassen konnte.
„Ich bin mit Sicherheit intelligenter als ihr beide zusammen“, meinte er deshalb. „Zwei Russen … tz ...“ Gespielt fassungslos schüttelte er den Kopf. „Ihr habt doch nichts als Wodka im Hirn.“
Die beiden Kerle tauschten einen flüchtigen Blick. Dieses Bild schrieb Alex‘ Äußerung für einen irrwitzigen Moment sogar Recht zu.
„Ich kann verkaufen, wo ich will“, fuhr Alex fort. „Oder hängt irgendwo am Bahnhof ein Schild mit eurem Namen drauf?“
„Er will wohl doch Ärger“, meinte der Russe zu seinem Komplizen und trat wieder einen Schritt auf Alex zu. „Oder was meinst du, Sergej?“
Der Angesprochene nickte wie eine hungrige Hyäne. Daraufhin kam der Russe noch näher und blieb dicht vor Alex stehen. Mit hochgezogener Augenbraue schob er seine Lippen vor und zurück.
„Willst du Ärger?“, fragte er Alex.
„Ich will mein Ding durchziehen“, erwiderte Alex. Irgendwie stimmte das ja auch. „Mehr nicht.“
„Soll ich dich noch einmal höflich bitten, zu verschwinden, oder bedarf es dieses Mal einer härteren Methode?“, fragte der Russe.
Alex‘ Puls beschleunigte sich. Auf seinen Händen bildete sich ein dünner Angstfilm. Trotzdem musste er weiter machen. Er hatte es fast geschafft. Das spürte er.
„ Ihr seid es, die sich verpissen sollten“, sagte er und tat so, als ob er ausweichen wollte. Die nächsten Worte spuckte er verächtlich aus. „Und zwar dorthin, wo ihr hingehört: nach Russland.“ Er stockte, hielt inne, nahm all seinen Mut zusammen und fuhr schließlich fort: „Ihr scheiß Russen …“
Kaum dass er ausgesprochen hatte, reichte die Zeit nicht einmal für einen weiteren Atemzug. Sofort wurde er brutal gepackt und tiefer in die Dunkelheit gedrängt.
„Du nimmst deine Fresse ja gewaltig voll“, zischte der Russe.
Er presste Alex gegen kaltes Gemäuer und legte die Hände um dessen Hals. Kalte Finger mit scharfen Nägeln bohrten sich in die
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