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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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Blutspuren von Ben. Über Nacht war das Blut geronnen und braun geworden. Alex musste schlucken und spürte dabei eine enorme Übelkeit in sich aufsteigen. Er umklammerte seinen Magen und richtete sich wieder auf. Nach einem letzten Blick wandte er sich um und schritt zum Wagen zurück. Die Gedanken an den Unfall brannten noch immer in seinem Verstand. Bislang hatte er noch nicht die Gelegenheit gehabt, um das Geschehene in Ruhe zu verdauen. Die ganze Nacht lang war er von den vielen Befragungen der Polizei abgelenkt worden. Zwar hatte er viel über den Unfallhergang erzählen müssen, hatte dies aber nahezu maschinell getan. Nur darüber zu reden, bedeutete noch lange nicht, das Gesprochene gleichermaßen zu verarbeiten. Der Schock saß noch tief. Immer wieder stieg das Bild von Ben in seinen Kopf, wie er blutüberströmt am Boden lag und irgendwann nicht mehr auf seine Fragen reagierte. Zu jenem Zeitpunkt war Alex fest davon ausgegangen, dass Ben sterben würde. Umso dankbarer war er, dass ihm die heutige Medizin das Gegenteil bewiesen hatte. Dennoch überforderte ihn die gesamte Situation. Er hatte schon viel durchmachen müssen: Den Tod seiner Mutter, den Tod seines besten Freundes und den Tod seines geliebten Hundes, Sam. All diese Ereignisse aus seiner Vergangenheit hatten ihn auf eine merkwürdige Art und Weise abgestumpft. So konnte er zwar über all das, was passiert war, nachdenken, schaffte es aber nicht, Gefühle zuzulassen. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen, weil er sich verantwortlich für den Unfall fühlte. Dennoch ließ sein Verstand keine wirklichen Gefühle zu. Er schaffte es nicht, sich vorzustellen, wie es wäre, wenn Ben tatsächlich gestorben wäre. Im Gegenteil. Es war viel mehr so, dass er Bens Überleben einfach hinnahm und es als eine Art Selbstverständlichkeit ansah. Vermutlich hatte er sich deshalb so unsicher gegenüber Ben verhalten. Der Dunkelhaarige musste jetzt denken, dass es Alex vollkommen egal war, dass er nur mit Glück überlebt hatte. Aber so war es nicht. Zeigen konnte er das allerdings nicht.
    Mit der Zeit wurde ihm kalt und auch die Müdigkeit machte sich allmählich bemerkbar. Seine Glieder wurden schwerer, seine Gedanken langsamer. Deshalb öffnete er die Tür seines schwarzen BMWs und stieg ein. Er wollte zurück zur Villa fahren – auch, wenn er keine Lust hatte, Nick oder Bens Eltern zu begegnen. Woanders konnte er nicht hin. Trotzdem war er froh, noch einmal zum Tatort zurückgekehrt zu sein. Irgendwie machte das die ganze Sache realer und das Bild des alten Blutes wagte zumindest den Versuch, an seinem Verstand zu rütteln.
    Er steckte den Schlüssel in die Zündung und startete den Motor. Dann schlug er links ein und fuhr Richtung Westen. Beim Druck auf die Gaspedale zitterte sein Bein. Er war körperlich am Ende und bekam dies deutlich zu spüren. Am Ende des Pinnasbergs bog er links ab, gleich darauf noch einmal rechts. Nahezu gedankenlos fuhr er Richtung Villa. All seine Konzentration schenkte er dem Straßenverkehr. Alles kam ihm mit einem Mal so fremd vor: die Straßen, die Leute, die anderen Autos. Er fühlte sich fast wie ein Schwerverbrecher, der in dem bunten Getümmel unterzutauchen versuchte. Das schlechte Gewissen nagte unaufhörlich an ihm. Er war froh, dass Ben überlebt hatte, und es tat ihm weh, in welchem Zustand sich dieser befand. Er fühlte sich schuldig und genau das war der große Unterschied zu all seinen bisherigen Schicksalsschlägen. Bislang hätte er keinen Tod verhindern können und war ebenso wenig an einem Schuld gewesen. Bens Tod hatte er zum Glück verhindert. Dennoch hätte es gar nicht erst so weit kommen dürfen.
    Müde rollte er die Elbchaussee entlang. Seine Sicht wurde schwammig. Schnell fuhr er sich mit seiner rechten Hand über die Augen. Er brauchte dringend Schlaf. Das spürte er. Er hatte so viele Dinge im Kopf, dass sie ihm Kopfschmerzen bereiteten. Genau deshalb hatte ihn das neue Problem, das vorhin im Krankenhaus dazu gekommen war, vollkommen überfordert. Er schaffte es nicht, einen klaren Gedanken bezüglich Bens anstehender Abreise zu fassen. Das Ganze schien irgendwie noch weit weg zu sein. Trotzdem hatte ihm die Information einen Stich in die Brust versetzt. Das war ein Gefühl, das er vor Bens Dasein noch nicht gekannt hatte. Wie auch? Dieses Gefühl konnte einen nur ergreifen, wenn man jemanden so gern hatte, dass er einen verletzen konnte. Bislang hatte er so einen Menschen allerdings nicht gekannt. Doch

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