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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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zu den Beamten und warf ihnen einen unsicheren Blick zu.
    „Und wie geht’s jetzt weiter?“, fragte er. „Was ist mit Alex?“
    „Mit Ihrem Freund ist gar nichts“, antwortete der Polizist. „Alle bisherigen Aussagen passen zueinander. Deshalb gehen wir davon aus, dass dies die Wahrheit ist. Jetzt müssen wir alles daran setzen, diesen Diego zu finden. Außerdem benötigen wir Ihre Aussage noch einmal schriftlich. Das reicht aber, wenn Sie wieder auf den Beinen sind.“
    „Und das war’s?“, hakte Ben ungläubig nach.
    „Ja, das war’s“, lächelte der Polizist. „Es sei denn, Sie möchten uns noch irgendwas sagen.“
    „Nein“, entgegnete Ben sofort. „Ich hab‘ Ihnen alles gesagt, was ich weiß.“
    „Dann wünschen wir Ihnen weiterhin gute Besserung!“, verabschiedete sich der Polizist. „Und vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben.“
    Bens Antwort war ein wortloses Nicken. Dann beobachtete er, wie die Beamten aus dem Zimmer traten. Zurück ließen sie nichts als den herben Nikotingestank und geschmolzenen Schnee auf dem Fußboden.
    Ben starrte die Tür noch eine ganze Weile an. So lange, bis er sich sicher war, dass die beiden nicht doch noch einmal zurückkehren würden. Erst dann atmete er erleichtert aus und ließ seinen Kopf zurück in das Kissen sinken. Er konnte spüren, wie sich jeder einzelne Muskel seines Körpers entspannte. Nun zog er auch seine Hände unter der Bettdecke hervor. Mittlerweile waren sie ganz schwitzig geworden, weshalb er sie provisorisch am Bettlaken abwischte.
    Die gesamte Befragung war glimpflicher gelaufen, als Ben geglaubt hatte. Dennoch hatte ihn die außergewöhnliche Situation gestresst. Die Angst, etwas Falsches zu sagen, war einfach zu groß gewesen. Aber jetzt, wo er wieder allein war, wurde ihm klar, dass er alles richtig gemacht hatte. Er hatte die Wahrheit gesagt und viel war damit nicht falsch zu machen. Mit dieser erfolgreichen Aussage hatte er eine weitere große Sorge hinter sich gelassen. Das erleichterte ihn. Dennoch nagten die aufgewirbelten Erinnerungen an seinem Verstand. Die wirren Bilder, die hektisch an seinem inneren Auge vorbeizogen, erinnerten ihn an den Schnelldurchlauf eines Filmes. Doch bei Filmen gab es eine Fernbedienung, mit der man die einzelnen Szenen und Bilder festhalten und in aller Ruhe betrachten konnte. Einen derartigen Schalter gab es jedoch nicht für seine Gedanken. Deshalb musste er sich dem unüberschaubaren Chaos in seinem Kopf machtlos hingeben. Das Einzige, was er tun konnte, war, die dazugehörigen Gefühle auszuschalten und das Ganze aus einer objektiveren Warte zu betrachten. Und dabei wurde ihm mit einem Mal etwas deutlich bewusst. Deutlicher, als je zuvor. Deutlicher, als wenn er die Fakten einfach so aussprach oder zu Hören bekam. Deutlicher, als wenn er zusätzliche Emotionen zuließ. Es war eine erschreckende Erkenntnis, die er bislang mit überzogener Gelassenheit zu überspielen versucht hatte. Doch jetzt, ganz plötzlich, wurde die Tatsache beängstigend real. Die Tatsache, dass er tot sein könnte, wenn Alex nicht gewesen wäre.

4
    Alex hatte seinen Wagen genau dort geparkt, wo er ihn auch am Abend des Unfalles abgestellt hatte.
    Er lehnte sich gegen die Karosserie und rang mit der Sehnsucht nach einer Zigarette. Dennoch gab er nicht nach und versuchte durchzuhalten.
    Tagsüber sah der Pinnasberg noch unansehnlicher aus als nachts. Das lag vermutlich daran, dass man den Müll auf den Straßen und die vielen Graffitis bei Licht besser sehen konnte. Der viele Schnee hatte zu schmelzen begonnen und war dadurch grau, teilweise pechschwarz geworden. Am Straßenrand sammelte sich das Wasser und rann von dort aus in Richtung der Abflüsse. Die Gegend weckte viele Erinnerungen in Alex. An diesem Ort hatte er sich mit Diego getroffen, um bei dessen Nachbarin einzubrechen. Auch so war er oft hier gewesen, um sich mit dem jungen Italiener zu treffen. Meist war es um geplante Pokertreffen gegangen oder darum, wie sie gemeinsam ihre Schulden beseitigen konnten. Doch all diese Erinnerungen waren nichts gegen die, die er ganz neu mit dieser Straße verband.
    Er blickte vor sich auf den nassen Asphalt und suchte nach der Stelle, an der Ben von dem Schuss getroffen wurde. Als er sie zu sehen glaubte, drückte er sich von seinem Wagen weg und trat ein paar Schritte vorwärts. Dort ging er in die Hocke und betrachtete den deutlichen Beweis für das, was geschehen war. Mitten auf dem Asphalt klebten noch

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