Sommermond
dann.
Genau diese Worte waren letztendlich zu viel für Alex. Das bereits freigesetzte Adrenalin rauschte in seine Glieder und ließ ihn aufspringen. Wütend stützte er sich am Tisch ab und funkelte Bens Vater an.
„Ich glaub‘, Ben ist alt genug, diese Entscheidung selbst zu treffen!“, zischte er und spuckte jedes Wort verächtlich aus. Die unkontrollierbare Wut zwang ihn dazu, sich wahllos zu entladen. Deshalb schlug er nach seinem Teller und fegte ihn in einem brutalen Wisch zur Seite. Das Porzellan rutschte vom Tisch, fiel zu Boden und zersprang in unzählige, weiße Scherben. Das übrig gebliebene Essen verteilte sich zwischen den Stuhlbeinen. Peter und Jo warfen ihm einen entsetzten Blick zu. Überreizt suchte Alex nach etwas Neuem, das er zerstören konnte. Letztendlich riss er sich jedoch zusammen und trat stattdessen zur Tür.
„Ihr könnt mich alle mal!“, fauchte er.
Dann wandte er sich um und verließ das Esszimmer in schnellen Schritten. Hinter sich hörte er noch Jo, wie er streng seinen Namen rief. Doch das war ihm egal. Er eilte durch den Flur und stürmte die Treppe hinauf. Jede Muskelfaser seines Körpers war angespannt. So stark, dass sogar das Atmen schmerzte. Zielstrebig schritt er in Richtung seines Zimmers. Doch gerade, als er seine Hand nach der Türklinke ausstreckte, verließ Bens Mutter das Zimmer gegenüber. Demnach schien Nick dort untergebracht zu sein. Bens Mutter wirkte verklemmt. Ihre Lippen hatten sich zu einer schmalen Linie geformt, mit ihren Händen zupften sie an ihrer Bluse. Sie sah schüchtern aus, dennoch gelang es Alex nicht, sich vor ihr zu beherrschen. Ihr Blick nervte ihn.
„Was?“, fragte er gereizt. „Hab‘ ich irgendwas im Gesicht?“
Bens Mutter schüttelte kaum merklich den Kopf. Mit der rechten Hand streifte sie sich eine braune Haarsträhne hinters Ohr. Die übrigen Haare reichten bis zu ihrer Schulter. Sie waren sehr gepflegt und ließen sie jünger aussehen, als sie es vermutlich war. In ihrem Gesicht gab es kaum Falten. Alex fiel auf, dass sie im Grunde sehr hübsch war. Diese Tatsache trug sogar dazu bei, dass er sich für einen kurzen Augenblick etwas beruhigte. Gespannt wartete er auf eine Reaktion, doch vergebens. Bens Mutter stand einfach nur da und blickte ihn mitfühlend an.
„Na? Was denken Sie gerade?“, fragte Alex. „Was für ein absoluter Wichser ich bin?“
„Du kannst mich ruhig duzen“, erwiderte sie in einer so ruhigen Art und Weise, dass Alex einen Moment lang perplex zurückstarrte. Als er wieder zur Besinnung kam, verfinsterte sich sein Blick jedoch noch stärker. Angespannt ballte er seine Hände zu Fäusten.
„Was soll das werden?“, fragte er skeptisch. „Ist das irgend ‘ne Masche, neue Infos aus mir rauszukriegen?“
„Nein, das nicht, aber – “
Alex ließ sie nicht ausreden. Stattdessen steigerte er sich ungehemmt in seine Wut hinein und trat so dicht auf sie zu, dass sie einen kurzzeitig verängstigt wirkte.
„Aber was?“, fragte er überreizt. „ABER WAS?“
Seine Stimme zitterte. Er spürte, dass seine Wut mit einem Mal in etwas anderes umschlug. Plötzlich erinnerte ihn die fremde Frau an etwas Vertrautes: an seine eigene Mutter. Mit ihr hatte es oft ähnliche Auseinandersetzungen gegeben, doch auch sie hatte sich nie – genau wie gegenwärtig Bens Mutter – aus der Fassung bringen lassen.
„Mann, was wollen Sie?“, fragte Alex und ignorierte ganz bewusst ihre Bitte, geduzt werden zu wollen. Er verzog sein Gesicht, während er Tränen in sich aufsteigen spürte.
„Der ganze Unfall …“, begann sie, hielt aber gleich darauf inne.
„Ja, der Unfall …“ Alex wandte den Blick ab und schüttelte fassungslos den Kopf. Dann tat er übertrieben lässig und gestikulierte wild mit seinen Händen in der Luft. „Das ist alles meine Schuld, ich weiß. Ich bin der Böse und Ben hat was Besseres verdient.“ Er pausierte einen kurzen Moment, blickte der Mutter wieder direkt ins Gesicht und deutete mit dem Zeigefinger auf ihre Brust. „Aber wissen Sie was? Ich kann den ganzen Scheiß nicht mehr hören.“
„Ich weiß“, erwiderte sie.
Alex traute seinen Ohren nicht. Gleichzeitig überschlug sich seine Wut nun vollends.
„Sie wissen gar nichts!“, fuhr er sie an und schritt dabei so beharrlich auf sie zu, dass sie im Gegenzug ein paar Schritte rückwärts stolperte. „Sie und Ihr Mann …“ Aufgeregt atmete er ein und aus. „Und dann schleppen Sie auch noch Bens Ex mit hier her. Wissen
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