Sommermond
hab‘ Diego das Geld gegeben. Bei Gott! Er hat es längst von mir bekommen, verdammt noch mal!“
Der Spanier ignorierte seinen Gefühlsausbruch.
„Diego ist untergetaucht“, sagte er. „Und ich wiederhole mich nur ungern. Bei mir ist kein Geld angekommen.“
Alex öffnete seinen Mund, um etwas zu erwidern, doch war seine Kehle wie zugeschnürt. Er brachte kein Wort mehr hervor. Der Spanier schien sich von seiner Aufgebrachtheit nicht beeindrucken zu lassen. Unbemerkt trat er einen Schritt näher und wandte sich wieder an Alex. Dabei kam er ihm so nahe, dass Alex‘ sein teures Aftershave riechen konnte.
„Du besorgst mir das Geld“, drohte er, „oder dein kleiner Freund wird das Krankenhaus in einem Sarg verlassen.“
Alex hielt ungewollt die Luft an. Für einen Moment glaubte er sogar, sein Herz wäre stehen geblieben. Doch schon im nächsten hämmerte es wieder so fest gegen seine Brust, dass ihm schlecht wurde.
„Keine Polizei“, fügte der Spanier noch hinzu. „Und keine Spielchen. Haben wir uns da verstanden?“
Alex blickte dem Spanier fest in die Augen. Er fühlte sich nicht fähig, etwas zu erwidern. Vermutlich wurde das ohnehin nicht von ihm erwartet. Solche Typen stellten keine Fragen, um Antworten zu erhalten. Sie stellten sie bloß, um ihre Mitmenschen mit dieser streng väterlichen Art einzuschüchtern.
Der Spanier verharrte noch einen letzten Moment, bevor er sich wieder zu seiner vollen Größe aufrichtete und sich von Alex abwandte. Dann schritt er in ruhigen Schritten von dannen – geradeso, als hätte das ganze Gespräch nicht stattgefunden.
Alex wurde bleich. Nur schwer fand er den Rhythmus seiner Atmung wieder. Ihm wurde so übel, dass er sich nach vorn beugte, um seine Hände auf seinen Knien abzustützen. Als er kurz aufsah, war der Spanier schon weit entfernt. Seine Silhouette vermischte sich mit der Dunkelheit.
„IHR SCHWEINE!“, schrie Alex ihm nach, als hätte ihn erst jetzt jeglicher Mut heimgesucht. Er wollte noch mehr brüllen, doch seine Stimme versagte. „Ihr verfluchten Schweine …“
Er war verzweifelt. Schon zum zweiten Mal an diesem Tag spürte er aufkommende Tränen, unterdrückte diese jedoch. Sein Verstand versuchte mit ihm zu kommunizieren, doch sein Körper wehrte sich gegen jegliche Gedankenzüge. Das Einzige, auf das er sich in jenem Moment konzentrieren konnte, war die immer stärker werdende Übelkeit. Noch immer stand er nach vorn gebeugt da. Mit einem Arm umklammerte er seinen Magen, drückte dabei sogar etwas zu, um den Vorgang zu beschleunigen. Als ihn dann endlich der Würgereiz ergriff, beugte er sich noch weiter vor und begann lauthals zu husten. Wassertropfen sammelten sich an seiner Nasenspitze und tropften von dort aus zu Boden wie ein beständiger Puls. Erneut hustete er und dieses Mal so kräftig, dass er sich gleich darauf übergab. Das wenige Mittagessen sammelte sich in einer braunroten Soße vor ihm in dem Matsch. Ein bitterer Geschmack füllte seinen Mund. Die Übelkeit verschwand. Alex sammelte noch einmal all seinen Speichel zusammen und rotzte in den Schnee. Dann hob er seinen Arm und wischte sich die Überreste aus dem Gesicht. Als er sich aufrichtete, überkam ihn statt der Übelkeit ein gewaltiger Schwindel. Er hatte Mühe, sein Gleichgewicht zu halten, und sah sich bereits mitten in die Kotze stürzen. Letztendlich schaffte er es jedoch, stehen zu bleiben und taumelte nur ein paar Schritte rückwärts. Angespannt legte er seine Hände an den Kopf – in der Hoffnung, dass sich dadurch nicht mehr alles um ihn herum drehte. Als das Bild vor seinen Augen endlich wieder einigermaßen einrastete, warf er einen erschrockenen Blick auf die entstandene Pfütze vor sich. Er zögerte nicht lange und kehrte mit seinem Schuh etwas Schneematsch darüber. Als er fertig war, setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen und taumelte schwankend nach Hause. Er fühlte sich wie nach einem stark alkoholisierten Abend. Sein Kopf dröhnte, sein Magen schmerzte. Geistesabwesend schritt er die vielen Stufen bis zur Straße hinauf. Er achtete nicht einmal auf vorbeifahrende Autos, während er sie überquerte. Ein grauer Mercedes hupte nach ihm. Das dröhnende Geräusch drang hallend in seinen Kopf. Dennoch blickte er nicht auf, sondern führte den Weg bis zur Villa fort wie ein Roboter, der darauf programmiert worden war. Hektisch kramte er nach seinem Schlüssel und zog ihn schließlich in einer so schnellen Bewegung aus der Tasche, dass er ihm
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