Sommermond
über die Worte seines Vaters nicht zum Ausdruck bringen können. Denn, selbst wenn er es gewollt hätte, glaubte er ihnen nicht.
Einen Moment lang wusste er nicht, ob seine Antwort Jo verletzt hatte. Sein Vater saß da und sagte nichts mehr. Alex spürte derweilen die Folgen seines Ausflugs in sich aufkommen. Die Kälte schien sich bis auf sein Knochenmark vorgearbeitet zu haben und bescherte ihm nun eine Art Schüttelfrost. Er schaffte es kaum, seine Beine ruhig zu halten. Gleichzeitig starrte er nahezu apathisch ins Leere und stellte sich ungewollt vor, was die Handlanger des Spaniers Ben antun würden. Dabei formten sich schreckliche Bilder in seinem Kopf, die sich unaufhörlich vermehrten.
„Wenn du das so siehst“, unterbrach Jo seine geistigen Horrorvisionen und erhob sich von der Couch.
In jenem Moment wurde Alex bewusst, dass Jo tatsächlich in einer Art Pflicht gehandelt hatte. Würde er seine Worte ernst meinen, gäbe es kein Grund, so schnell aufzugeben.
Nur beiläufig nahm er war, wie sein Vater Richtung Tür schritt. Seine Hände hielt er ineinander verschränkt auf dem Rücken, über dem weißen Stoff seines Pullovers. Alex sah ihm nach. Und plötzlich – ohne, dass er länger darüber nachdenken konnte – setzte sein Körper eine hohe Dosis Adrenalin frei. Alex wusste, worauf ihn sein Körper vorbereitete, wollte es verhindern, schaffte es jedoch nicht. Sein Mund öffnete sich und plötzlich schoss es ungehindert aus ihm heraus: „Die wollen mehr Geld.“
Jo blieb stehen. Seine Hände lösten sich voneinander. Erst neigte er seinen Kopf zur Seite, dann drehte er sich wie in Zeitlupe um. Sein Blick sprach Bände. Alex senkte seinen Kopf und begann wie verrückt an dem Stoff seiner Jeans zu kratzen. Jo sah ihn kritisch und fassungslos zugleich an. Er schien zu glauben, sich verhört zu haben. Alex biss seine Zähne so stark zusammen, dass seine Wangenknochen stark hervorstachen. Er fühlte sich elend und wusste, dass er seinem Vater nun die gesamte Wahrheit erzählen musste. Die Übelkeit kehrte noch heftiger zurück und auf seinen Händen bildete sich ein kalter Schweißfilm.
„Wer?“, fragte Jo streng. „ Wer will mehr Geld?“
Alex schaffte es nicht länger, sich zu beherrschen. Völlig apathisch sprang er von der Couch auf und fuchtelte wild mit den Händen vor sich in der Luft.
„Na, die Typen vom Pokern!“, erwiderte er. Seine Stimme klang irgendwie verstellt, nahezu verzweifelt.
„Das ist doch ein Scherz?“, fragte Jo und trat einige Schritte näher auf Alex zu.
Alex schüttelte hektisch den Kopf. Er fühlte sich unwohl in seiner Haut, wusste aber, dass er Jos Fragen beantworten musste.
„Der Obermacker hat mir aufgelauert“, erzählte er. „Eben gerade. Der fordert noch mal 40.000 Euro.“
Jos Augen formten sich zu skeptischen Schlitzen.
„Wie kann das sein?“, fragte er, sprach aber dennoch ruhiger, als Alex erwartet hätte.
„Ich … Ich weiß es doch auch nicht“, stammelte Alex und gestikulierte noch unklarer. „Ich … Ich hab‘ keine Ahnung.“
„Aber du hast ihnen das Geld doch schon gegeben“, meinte Jo und blieb etwa einen halben Meter vor ihm stehen. Seine Hände hielt er nun wieder auf seinem Rücken.
„Nein“, gab Alex zurück. „Nein, ich hab’s Diego gegeben … beziehungsweise … Diego hat’s mir abgenommen. Der Spanier … also der Boss der ganzen Leute … der meinte, dass Diego untergetaucht ist und kein Geld bei ihm angekommen ist.“
Jo legte seinen Kopf etwas in den Nacken und fuhr sich bei offenem Mund mit der Zunge über die Vorderzähne. Er sah fassungslos aus. Kaum merklich schüttelte er seinen Kopf, bevor er Alex zurück in die Augen sah.
„Alexander!“, ermahnte er seinen Sohn. „Das wird ewig so weitergehen. Die werden nicht aufhören.“
Alex blickte seinen Vater ängstlich an. Gerade so, als ob er dessen Worte kaum ertrug.
„Die werden immer mehr Geld von dir verlangen. Und so einfach kann und will ich nicht noch einmal so eine Menge Geld aufbringen.“ Er pausierte einen Moment lang. „Und Oberkommissar Wagner hat dich dazu verpflichtet, sich bei Neuigkeiten dieser … dieser Bande … zu melden. Bei neuen Drohungen zum Beispiel.“
Alex lauschte den Worten und spürte nebenbei, wie sein Kreislauf sich verschlechterte. Er konnte fast fühlen, wie jegliches Blut aus seinem Kopf wich. Er war erstaunt, wie sein Vater mit den Fakten umging, aber verzweifelt, weil er keinen Ausweg aus seiner Situation sah. Er
Weitere Kostenlose Bücher