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Sommermond

Titel: Sommermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M. Hart
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mehr als die des Chefarztes.
    „Ich muss dringend nach Hause“, erklärte Ben. „Das kann leider nicht warten.“
    Melanie seufzte auf. Sie schien zu verstehen und fragte nicht weiter nach. Stattdessen kehrte sie in den Aufzug zurück und nahm Ben die Tasche ab.
    „Dann lass mich dich wenigstens zum Taxi bringen!“
    „Woher weißt du, dass ich zum Taxi will?“, fragte Ben verwirrt und ließ sich die Tasche dankbar aus den Händen nehmen.
    „Na, du selbst kannst in deinem Zustand nicht Auto fahren und abholen tut dich ja offensichtlich auch keiner“, erwiderte sie.
    Ben schaute sie skeptisch an.
    „Na, komm! Wenn dich jemand abholen würde, würd‘ der dich oben abholen und dich nicht allein die Tasche schleppen lassen.“ Sie stockte, als der Fahrstuhl hielt und zwei weitere Schwestern einer anderen Station einstiegen. „Es sei denn, es ist ein totales Arschloch“, flüsterte sie noch.
    „Nein“, erwiderte Ben. „Es ist das Taxi. Nicht das Arschloch.“
    Der Aufzug fuhr abwärts und hielt im Erdgeschoss. Ben und Melanie stiegen aus und folgten den gelben Markierungen, die auf dem Boden klebten, bis zum Ausgang. Schon von weitem konnte Ben das bestellte Taxi sehen. Melanie hielt ihm die Tür auf. Dann schritt sie zum Auto und öffnete den Kofferraum. Sie warf die Tasche hinein und wandte sich noch einmal an Ben.
    „Pass bloß auf dich auf!“, sagte sie. „Sonst siehst du mich schneller wieder, als dir lieb ist.“
    Ben lachte leise.
    „Danke fürs Tragen“, lenkte er ab.
    „Gern“, erwiderte sie und hielt einen Arm vor der Brust verschränkt. Mit der freien Hand machte sie eine kurze, winkende Geste und kehrte anschließend ins Warme zurück.
    Ben schritt zur Beifahrertür und zog sie auf. Ein Mann, Mitte fünfzig, sah zu ihm auf.
    „Richter?“, fragte er knapp.
    „Ja, genau“, antwortete Ben und stieg ein. Er ignorierte seine Schmerzen, so gut er konnte.
    „Und wo soll’s hingehen?“, fragte der Taxifahrer.
    „Elbchaussee“, erwiderte Ben.
    „Gibt’s da auch ‘ne Hausnummer?“
    Ben dachte nach. Eigentlich wusste er die genaue Adresse, doch in jenem Moment war sie ihm entfallen.
    „Ziemlich weit hinten in der Elbchaussee. Bei den Tannenbergers“, sagte er dann.
    „Ach, da“, gab der Taxifahrer zurück und startete den Motor. „Das hätten Sie doch gleich sagen können.“
    Ben zuckte mit den Schultern und schnallte sich an. Am liebsten hätte er erwidert, dass er ja nicht davon ausgehen konnte, dass irgendein Taxifahrer die Tannenbergers kannte, verkniff sich diesen Kommentar aber gerade noch rechtzeitig.
    Der ältere Mann lenkte das Taxi vom Krankenhausgelände. Nebenbei zog er sich eine Halslutschpastille aus einer silbernen Blechdose und steckte sie in seinen Mund. Er schmatzte übertrieben darauf herum und verbreitete mit seinem Atem einen minzigen Geruch im Innenraum.
    Ben blickte aus dem Seitenfenster. Als sie an einer Ampel hielten, konnte er den Blick des Fahrers auf sich spüren.
    „Sie sehen schlecht aus“, sagte dieser.
    „Es geht mir auch nicht besonders“, erwiderte Ben.
    „Und die haben Sie trotzdem nach Hause geschickt, was?“
    Ben wog ab, ob er die Wahrheit sagen sollte. Doch dies würde vermutlich eine weitere Flut von Fragen aufwerfen. Deshalb entschied er sich für ein schlichtes Nicken.
    „Typisch ist das doch“, meinte der Fahrer daraufhin in seiner rauen Stimme.
    Ben hörte, wie er den Bonbon zerkaute.
    „Wollen für alles Geld, aber haben keine Zeit und Kapazität für ihre Patienten.“
    Ben warf ihm einen seitlichen Blick zu. Innerlich amüsierte ihn der Monolog des Taxifahrers. Nach außen hin versuchte er ernst zu bleiben.
    „Immer das gleiche …“, murmelte der Fahrer und bog auf die Elbchaussee.
    Ben widmete sich wieder dem Seitenfenster und beobachtete die Leute auf den Fußgängerwegen.
    Der Taxifahrer nahm sich eine neue Pastille und klemmte sie zwischen seine Zähne. Als Ben ihn dabei beobachtete, erklärte er: „Zigarettenentwöhnung. Ich brauch‘ immer irgendetwas in meinem Mund.“
    Ben nickte wortlos.
    Einige Minuten später erreichten sie die Villa. Der Taxifahrer fuhr auf die Einfahrt und zog die Handbremse an. Ben fummelte sein Portemonnaie aus der Tasche und zahlte den auf dem digitalen Display angezeigten Betrag.
    „Na, dann …“, murmelte der Taxifahrer und faltete die Geldscheine zwischen seinen Fingern zusammen. „Gute Besserung!“
    „Danke“, erwiderte Ben. „Ich wünsch‘ Ihnen noch ‘nen schönen Tag!“

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