Sommermond
fortzuführen, in dem Alex offenbar keine Rolle spielte. Vermutlich hätte die Beziehung dieser Probe ohnehin nicht standgehalten. Umso einfacher machten es ihm die aktuellen Umstände, sich von Ben abzuwenden. Alles andere, was noch bis zu diesem Vorfall zwischen ihnen stattgefunden hatte; der Sex, das intime Gespräch. All das schien nun weit weg zu sein und lediglich einem fernen Traum oder einem Wunschdenken zu entspringen. Er und Ben hatten nichts gemeinsam. Das sah er in diesem Moment ein. Ben war ehrgeizig, liebte sein Studium, hatte tolle Eltern und viele Freunde. Ihm stand eine sorgenlose Zukunft bevor. Aber Alex hatte nichts. Nichts außer all den Problemen, die ihn von Tag zu Tag mehr zerfraßen.
In schnellen Schritten führte er seinen Weg fort. Der halbe Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche und erzwang eine Stimmung, die Alex nicht mit sich vereinbaren konnte. Er fühlte nach seinem Handy, zog es aus der Tasche und schaltete es aus. Er wollte von niemandem gestört werden. Vor allem nicht von Ben. Er brauchte Ruhe, Zeit und Abstand, am besten sogar etwas Alkohol. Bei diesem Gedanken zog er sich eine neue Zigarette aus der Schachtel, steckte sie in seinen Mund und zündete sie an. Dadurch, dass er so schnell ging, fiel ihm das Rauchen schwer. Trotzdem beruhigte es ihn.
Vor ihm wurde der Weg schmaler. Kahle Baumzweige bewegten sich in der Dunkelheit. Nicht weit entfernt lag der Jenischpark. An diesem Ort hatte er sich mit dem Spanier treffen wollen, um die vereinbarte Übergabe durchzuführen.
Ja, alles hätte so einfach sein können.
Doch jetzt, jetzt war alles wesentlich komplizierter. Jo hatte kein Geld besorgt, weshalb er der Pokerbande nun hilflos ausgeliefert war. Die Polizei wusste von den aktuellen Gegebenheiten und zudem hatte er sich so heftig mit Ben gestritten, dass er fest davon überzeugt war, nicht noch einmal zu ihm zurückkehren zu wollen. Er brauchte keinen Aufpasser. Er brauchte niemanden, der sich in seine Probleme einmischte und seine Pläne ruinierte. Er brauchte niemanden, der ihn verletzte. Er hatte ohnehin genug Sorgen. Genau das war auch der Grund, warum er sich in seinem bisherigen Leben nie auf jemanden eingelassen hatte. Er war ungern von jemandem abhängig. Allein war man besser bedient. Ohne Freunde und Familie war man allein für seine Probleme zuständig und schuldete niemandem eine Erklärung oder eine Rechenschaft.
Alex zog kräftig an der Marlboro und blieb stehen. Sein Inneres zwang ihn, sich noch einmal umzudrehen. Doch es war dunkel geworden und er war schon weit gegangen. Ben würde nicht mehr zu sehen sein. Der sandige Pfad hatte Alex auf den Elbuferweg geführt. Auf eine seltsame Art und Weise beunruhigte es ihn, Ben so weit hinter sich gelassen zu haben. Es enttäuschte ihn sogar ein wenig. Zwar war das absurd, weil er ausdrücklich um Ruhe gebeten hatte, doch jetzt, im Nachhinein, wünschte er sich, dass Ben nicht so schnell aufgegeben hätte. Auch sein schlechtes Gewissen schaffte es nun erfolgreich in seinen Verstand und redete wirr auf ihn ein. Seine innere Stimme versuchte ihm zu verdeutlichen, wie verantwortungslos er Ben hatte sitzen lassen. Immerhin war der Dunkelhaarige schwer verletzt. Es könnten Komplikationen auftreten, die ihn bewusstlos machten. Dann würde er hilflos am Elbufer liegen und die alleinige Schuld daran trüge Alex.
Der Blonde schüttelte sich. Er zog ein letztes Mal an seiner Zigarette und schnippte sie anschließend in das Wasser. Erschöpft führte er seinen Weg fort. Er brauchte dringend Alkohol, der seinen Verstand betäuben und ihn später leichter einschlafen lassen würde. Deshalb nahm er sich vor, eine x-beliebige Bar am Hafen aufzusuchen. Dieser Gedanke trieb ihn letztendlich dazu an, sein Schritttempo noch weiter zu erhöhen. Für ihn war Alkohol das beste Mittel gegen Gefühle. Mit etwas Schnaps würde er abschalten und vielleicht am nächsten Tag wieder zur Besinnung kommen können.
Seine Füße trugen ihn immer schneller. Der Weg führte ihn zu einem Parkplatz, hinter dem sich die Elbchaussee entlangschlängelte. In der Ferne sah Alex viele Autos vorbeifahren. Die Insassen wirkten so unschuldig, dass er sich mit einem Mal völlig fremd in der Realität fühlte. Nach außen hin sah er normal aus, genau wie die ganzen anderen Fußgänger und Autofahrer. Doch im Inneren brütete eine schlimme Vergangenheit, die ihm Angst bezüglich seiner Zukunft einjagte. Dieser Gedanke ließ ihn erstarren. Benommen blieb er
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