Sommermond
ins Gesicht.
Der Blonde wand sich unter dem Stück Stoff und glaubte, nicht mehr genügend Luft zu bekommen. Mit jedem Atemzug sog sich das Tuch fester an seine Lippen. Dann wurde ihm plötzlich schwindelig. Seine Muskeln wurden schlaff, sein Körper sackte in sich zusammen und seine Augen fielen wie von selbst zu. Nur beiläufig bekam er mit, wie das Taschentuch aus seinem Gesicht gezogen wurde. Schlaff rutschte er zu Boden. Er hörte noch, wie eine Autotür aufgerissen wurde, bevor alles um ihn herum verstummte. In seinem Kopf breitete sich eine schwarze Leere aus, die ihn binnen Sekunden so müde machte, dass er sich nicht mehr länger wachhalten konnte. Schließlich gab er den Kampf auf. Seine Glieder entspannten sich und seine innere Stimme begann zu schweigen.
Und dann war da nichts mehr. Gar nichts, außer der farblosen Leere und der beängstigenden Stille.
9
Ben hatte starke Schmerzen. Jeder Atemzug brannte sich wie ein heißes Messer in seine Lunge. Seine Arme hielt er um seine Beine geschlungen und kauerte wie ein Häufchen Elend im Matsch. Die ganze Situation überforderte ihn. All das, was in letzter Zeit passiert war, war einfach zu viel. Er wollte mit Alex zusammen sein und sorgte sich um ihn. Auch, wenn dieser ihn soeben wie den letzten Dreck behandelt hatte. Er konnte nichts für seine Gefühle. So war sein Charakter. Wenn er verliebt war, dann mit allen Konsequenzen. Er war niemand, der sich nur auf die guten Seiten von Menschen fixierte. Alex hatte es ihm dabei besonders angetan. Der Blonde war zwar oft ein echtes Arschloch, doch dahinter verbarg sich jemand Besonderes. Jemand, den nur Ben kannte. Deshalb ehrte es ihn, dass ihm dieses zweite Ich gehörte – wie ein Geheimnis, das er nicht preisgeben wollte.
Die Nässe sog sich in seine Hose. Ihm wurde kalt und er begann zu zittern. Doch jeder Versuch, sich aufzurichten, scheiterte. Die Schmerzen waren zu stark, die psychische Last zu schwer. Wie gebannt starrte er auf seine Knie und krallte seine Finger in den Stoff seiner Jeans. Ein Brennen durchzog sein Inneres. Er erinnerte sich an die letzten Wochen zurück. An alles, was geschehen war. Angefangen bei seinem Praktikum und aufgehört bei dem Geständnis vor der Polizei. Vielleicht hätte er besser auf Alex hören sollen. Er sah ein, dass weder die Kripo noch sonst wer wirklich helfen konnte, wenn es unerwartet ernst werden würde.
Er schloss die Augen und lehnte seinen Kopf gegen seine Knie. Verzweiflung stieg in ihm auf und ließ ihn bewusst werden, dass er tatsächlich einen Fehler gemacht hatte. Vielleicht war es nicht unbedingt verkehrt, die Polizei hinzuziehen, dennoch hätte er vorab mit Alex reden müssen. Er hatte den Blonden hintergangen und wurde sich dessen nun deutlich bewusst. Deshalb verstand er, warum Alex so wütend war. Gleichzeitig kränkte es ihn, dass der Blonde derart ausfallend geworden war und sich zum Ende des Streits nur noch auf einer persönlichen Ebene bewegt hatte.
Bens Atmung wurde stockender. Er spürte Tränen in sich aufsteigen, die einen kurzen Moment später aus seinen Augen drangen und warme Linien über seine Wangen zogen. Sie hielten an seinen Lippen und schmeckten salzig. Ben schluchzte und begann bitterlich zu weinen. All die Ängste und Sorgen der letzten Wochen vereinten sich plötzlich zu einem komplexen Gefühl von Hilflosigkeit. Er kannte Alex zwar gut, aber nicht gut genug, um zu wissen, wie es nun zwischen ihnen weitergehen sollte. Vielleicht bedeutete der Streit ihr Aus, vielleicht war er auch nur eine weitere Härteprobe.
Ben zog die Nase hoch und wischte sich mit der flachen Hand den Rotz von den Lippen. Normalerweise weinte er selten. Er konnte sich kaum an Situationen erinnern, in denen dies geschehen war. Nicht einmal nach Nicks Trennung. Doch die aktuelle Situation forderte ein ganz anderes Niveau an Stärke. Eines, mit dem er noch nicht gut umgehen konnte. Bislang hatte er einfach alles hingenommen und stets gehandelt, wie es ihm sein Verstand ermöglicht hatte. Doch jetzt fühlte er sich zu erschöpft und kraftlos. Er konnte einfach nicht mehr.
Erneut versuchte er sich aufzurichten. Er stützte sich mit seinen Händen im Matsch ab und hievte sich ein paar Zentimeter nach oben. Doch seine zittrigen Hände konnten ihn nicht halten und rutschten unter seinem Gewicht zur Seite.
„BEN?“, hörte er plötzlich jemanden rufen. Er brauchte nicht aufzusehen, um zu wissen, dass es Nicks Stimme war. „Ben, bist du das?“
Ben reagierte
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